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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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»Naturzustand«. Aus seiner Betrachtung und unter Verarbeitung deontisch-normativer Programmparameter der bürgerlichen Standesemanzipation wurde die Legierung zweier Hauptzüge des damals jüngstvergangenen Abschnitts der Vernunftgeschichte geschmiedet; eine Verbindung, die jahrhundertelang halten sollte und erst im zwanzigsten Jahrhundert brüchig wurde: einerseits der Vorstellung vom richtigen Leben als dem authentischen, menschennaturgemäßen (wir wollen sie, ihrem berühmtesten Explikator zu Ehren, den »rousseaueanischen Zug« nennen) und andererseits der Idee vom Glück als dem konstruktiven, schöpferischen, produktiven Dasein (die wir analog den »spinozistischen Zug« taufen). Richtiges Leben ist selbsterarbeitetes Glück ist Naturrecht: Die Formel schließt die bürgerliche Legitimität in toto auf.
III.
Naturbestimmung: Gibt es Nichtgemachtes?
    Naturrecht: Das Wort scheint auf den ersten Blick ganz unsinnig.
    Recht wird gemacht, Natur aber, wenn das Wort überhaupt etwas bedeuten soll, ist etwas, das Leute nicht machen können, sondern vorfinden müssen. Es umfaßt Quasare, Leuchtkäfer, ionische Flüssigkeiten, Berge, Krankheiten, Edelgas, aber keine Gedichte, Eisenbahnschienen, Bratenrezepte – oder Rechte. Die Menge der Naturerscheinungen, will man sie von derjenigen des Menschenmöglichen trennen, wird dabei allerdings – man ist versucht zu sagen: natürlich – das, was die neuere Mengenlehre fuzzy set nennt. Konstruktivismusorientierte historische Wissenschaftssoziologien, wie sie Thomas S. Kuhn oder Paul Forman vorgeschlagen, skizziert und in Teilen auch ausgearbeitet haben, belehren die Menschheit darüber, daß Galilei sich nicht nur im Weltall, sondern auch in der italienischen Gesellschaft seiner Zeit orientieren mußte, um die Bewegungsgesetze der von ihm studierten Körper zu erkennen, und darüber, daß die Kausalitätsskepsis der Erfinder der Quantenmechanik viel mit der geistesgeschichtlichen Lage der Weimarer Republik zu tun hatte, die wiederum auf soziale und politische Realien der Zeit zurückzuverfolgen nicht schwerfällt. Was bei Alfred Sohn-Rethel, wo dieser etwa die logische Geographie der neuzeitlichen Exaktheitsauffassung in Kunst und Wissenschaft aus den besonderen Kompetenzanforderungen der Renaissancestadtstaaten an ihre Schöpfer herleitet, noch eine große Wahrheit war, weil der gelernte Dialektiker Sohn-Rethel nicht nur weiß, welchen Anteil das Soziale an der Erkenntnis hat, sondern dabei auch im Blick behält, was die Erkenntnis mit dem Sozialen anstellt, wird bei den platten Wissenssoziologen, die Marx vergessen wollen und Hegel nie zur Kenntnis genommen haben, zur schieren Entlarvungsautomatik: Was ihr da rausgefunden habt, Weißkittel, das hat euch doch nur eure Zeit eingeflüstert, euer Wahrheitsanspruch ist Selbsttäuschung. Die so auftrumpfen, machen viel Aufhebens von einem Umstand, den man seit Giambattista Vico mit dem Merkwort verum et factum convertuntur kennzeichnet – das Wahre ist, for all intents and purposes , das Gemachte.
     
    Je später der Zeitpunkt, an dem sie mit ihrer Metabetrachtung der wissenschaftlichen Objektivierungsarbeit ansetzen, desto eher finden sie Schaustücke, die in den Beweisordner passen. Die Sonolumineszenz zum Beispiel, die Umwandlung von Schall in Licht, ist zwar ein Naturvorgang, wurde aber im Labor erschaffen, bevor man sie je irgendwo in freier Wildbahn beobachtet hatte. Der Physiker Felipe Gaitan fand an der Universität von Mississippi in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts das Phänomen der Anregung einzelner Luftblasen in einem wassergefüllten Gefäß durch ein stehendes Ultraschallfeld: Die Blasen fingen an zu leuchten, und Gaitan riet richtig, daß hier ein bislang in der Literatur nicht behandelter Effekt thermischer Strahlung vorlag. Der Argumentationsgang führte zur Theorie der Volumenemitterstrahlung, die erfolgreich vormals weit auseinanderliegendes Gedankengut aus der Hydrodynamik, Akustik, Chemie und der Physik ionisierter Gase erklärend zusammenführte. Der springende Punkt an dem Vorgang ist aber nicht die Kippfigurdialektik zwischen Entdecken und Erschaffen, aus der die Konstruktivisten ihren Nektar saugen, sondern die statistisch-thermodynamische Datenverteilung erstens in der Gesamtmenge der Naturtatsachen und zweitens in von dieser nur durch teilmengenbezogene operative Schließung auf dem Weg geregelter Kommunikation gesonderten sozialen Einrichtungen wie der Naturwissenschaft: Die
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