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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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anfangen. Wer kann denn glauben, daß die menschliche Natur imstande sei, dies zu ertragen, ohne in Irrsinn zu geraten? Wozu eine solche gräßliche, unnütze, zwecklose Marter? Vielleicht gibt es auch einen Menschen, dem man das Todesurteil vorgelesen hat, den man sich hat quälen lassen, und zu dem man dann gesagt hat: ›Geh hin; du bist begnadigt!‹ Ein solcher Mensch könnte vielleicht erzählen. Von dieser Qual und von diesem Schrecken hat auch Christus gesprochen. Nein, so darf man mit einem Menschen nicht verfahren!«
    Obgleich der Kammerdiener all dies nicht hätte so ausdrücken können wie der Fürst, verstand er doch, wenn auch nicht alles, so doch die Hauptsache, was sogar an seiner gerührten Miene wahrzunehmen war.
    »Wenn Sie so sehr wünschen zu rauchen«, sagte er, »so würde das vielleicht auch gehen; nur müßten Sie es sehr bald tun. Denn er könnte auf einmal nach Ihnen fragen, und dann wären Sie nicht da. Sehen Sie, dort unter der kleinen Treppe ist eine Tür. Gehen Sie in die Tür hinein, rechts ist ein Kämmerchen; da können Sie rauchen; nur müssen Sie die Luftklappe aufmachen, denn das Rauchen ist hier doch nicht in der Ordnung.«
    Aber der Fürst kam nicht mehr dazu fortzugehen und zu rauchen. In das Vorzimmer trat ein junger Mann mit Papieren in der Hand. Der Kammerdiener nahm ihm den Pelz ab. Der junge Mann schielte nach dem Fürsten hin.
    »Der Herr da sagt mir, Gawrila Ardalionytsch«, begann der Kammerdiener in vertraulichem, beinah familiärem Ton, »daß er ein Fürst Myschkin und ein Verwandter der »Du bist hier, Ganja?« rief eine Stimme aus dem Arbeitszimmer. »So komm doch herein!«
    Gawrila Ardalionowitsch nickte dem Fürsten zu und begab sich eilig in das Arbeitszimmer.
    Ungefähr zwei Minuten darauf öffnete sich die Tür von neuem, und Gawrila Ardalionowitschs wohlklingende, höfliche Stimme rief:
    »Bitte treten Sie näher, Fürst.«
III
    Der General Iwan Fjodorowitsch Jepantschin stand mitten in seinem Arbeitszimmer und betrachtete mit größter Neugier den eintretenden Fürsten; er ging ihm sogar zwei Schritte entgegen. Der Fürst trat zu ihm heran und stellte sich vor.
    »Sehr wohl«, antwortete der General, »womit kann ich dienen?«
    »Ein dringliches Geschäft habe ich nicht; meine Absicht war einfach, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich möchte nicht stören, da ich weder Ihren Empfangstag noch Ihre Dispositionen kenne ... Aber ich komme eben von der Bahn ... ich bin aus der Schweiz hergereist.«
    Der General war nahe daran zu lächeln, aber er überlegte und hielt inne; dann überlegte er noch ein wenig, kniff die Augen zusammen, musterte seinen Gast noch einmal vom Kopf bis zu den Füßen, bot ihm dann schnell einen Stuhl an, setzte sich selbst schräg gegenüber und wandte sich in ungeduldiger Erwartung zum Fürsten hin. Ganja stand in einer Ecke des Arbeitszimmers am Schreibtisch und blätterte in Papieren.
    »Für neue Bekanntschaften habe ich im allgemeinen nur wenig Zeit«, sagte der General, »aber da Sie gewiß dabei Ihre Absicht haben, so ...«
    »Ich habe es mir vorher gedacht«, unterbrach ihn der Fürst, »daß Sie in meinem Besuch jedenfalls irgendeine besondere Absicht sehen würden. Aber bei Gott, außer dem Vergnügen, mit Ihnen bekannt zu werden, habe ich keinerlei besondere Absicht.«
    »Das Vergnügen ist sicherlich auch für mich ein sehr großes, aber man kann sich nicht immer dem Vergnügen widmen; es kommen manchmal auch Geschäfte vor, wie Sie wissen werden ... Außerdem vermag ich bis jetzt absolut keine gemeinsame Beziehung zwischen uns zu erkennen ... sozusagen einen triftigen Grund...«
    »Ein triftiger Grund ist unstreitig nicht vorhanden und gemeinsame Beziehungen gewiß nur wenige. Denn daß ich Fürst Myschkin bin und Ihre Gemahlin aus unserem Geschlecht stammt, ist selbstverständlich kein triftiger Grund. Das sehe ich sehr wohl ein. Aber doch liegt darin der ganze Anlaß meines Besuches. Ich bin ungefähr vier Jahre nicht in Rußland gewesen, mehr als vier Jahre, und als ich wegfuhr, war ich beinah nicht bei Sinnen! Damals kannte ich nichts in der Welt, und jetzt noch weniger. Ich bedarf des Verkehrs mit guten Menschen; und dann habe ich da auch noch eine geschäftliche Angelegenheit, und ich weiß nicht, wohin ich mich hinsichtlich derselben um Rat wenden soll. Schon in Berlin dachte ich: ›Das sind beinah Verwandte von mir; mit denen werde ich den Anfang machen, vielleicht passen wir zueinander, sie zu mir und ich zu ihnen,
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