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Der Hundeknochen

Der Hundeknochen

Titel: Der Hundeknochen
Autoren: Niklaus Schmid
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Konzentration auf den Straßenverkehr war das alles andere als förderlich. Die dunkle Wand, die plötzlich vor meinen Augen auftauchte, entpuppte sich als das Ende eines Lastzuges. Ich setzte den Blinker und scherte aus, um zu überholen.
    Als ich am Führerhaus des Lasters vorbeizog, stieg der Trucker voll in die Preßluftfanfare und reckte mir den Daumen entgegen. Sein dickes Gesicht drückte Zustimmung, aber auch eine Portion Neid aus. Später, in der Raststätte bei Kartoffelsalat mit Bockwurst, würde er den Kollegen etwas zu erzählen haben.
    »Kannst du nicht mal einen Moment lang mit einer Hand lenken?« erkundigte sich Judith.
    »Morgen abend…«
    »Morgen abend, was?« gurrte sie.
    »Wir mieten ein Hotelzimmer und dann…«
    »Im Bett? Wie spießig!«
    Mag ja sein. Jeder hat so sein spießiges Gärtchen. Meines war, daß ich es ganz gern im Bett tat, vorzugsweise bequem in der Seitenlage. Doch das letzte Mal war lange her, zu lange schon. Und Judith blieb weiter ganz nah bei mir, ihr Kopf lehnte jetzt an meiner Schulter, und zum erstenmal seit vielen Stunden dachte ich nicht an Salm und nicht an die Killer, nicht an die Bullen und auch nicht an meinen Auftrag. Ich fuhr, nun mit einer Hand lenkend, in Richtung Süden, und meine Gedanken eilten mir voraus zu einer kleinen Insel im Mittelmeer. Auf einmal wurde mir klar, was ich nach diesem beschissenen Job machen würde, sofern ich denn einigermaßen gesund herauskäme. Ein Häuschen auf Formentera, in der Sonne sitzen, mal ein Buch lesen, das mehr als hundertfünfzig Seiten hat. Ich würde, wie es so viele vor mir getan hatten, aussteigen aus diesem Rattenrennen und nur ab und zu mal einen Auftrag annehmen. Formentera war ideal dafür, nicht zu nah dran an meiner herrlich kaputten Hausstrecke zwischen Duisburg und dem Kamener Kreuz, aber auch nicht zu weit weg von der geliebten Landschaft zwischen Fördertürmen, Schornsteinen und Kappesfeldern.
    »Woran denkst du?«
    »An dich.«
    »Schmeichelkater!«
    Das hatte man mir lange nicht mehr vorgeworfen.
    »An dich und an mich und an einen Haufen Geld, mit dem wir uns ein schönes Leben machen können.«
    Für zwei, drei Sekunden hatte ich das Gefühl, ich müßte den Scheibenwischer anschalten, weil sich ein Schleier vor meine Pupillen gelegt hatte. Zum Teufel mit dieser Frau!
    »Dann habe ich dich ja auf schöne Gedanken gebracht«, sagte sie und richtete sich auf.
    Ein Schild kündigte die deutsch-französische Grenze an. Fünf Minuten später standen wir in einer kilometerlangen Autoschlange; obwohl es keine Grenzkontrollen mehr gab, stauten sich die Fahrzeuge. Vor uns ein Wohnwagen, hinter uns rollte ein Audi Quattro heran; die Scheiben runter, das Radio voll aufgedreht, Surfbretter auf dem Dach, in den Vordersitzen zwei Figuren in grell bunten Hemden, die sich über trainierte Körper spannten. Tarnung oder nicht Tarnung? stellte ich mir die Frage. Jeden Augenblick rechnete ich damit, daß aus diesem Audi oder aus einem der anderen Wagen hinter uns zwei Männer aussteigen würden: Raus da! Hände aufs Wagendach!
    Es stieg nur einer aus, der Audi-Fahrer.
    Mit rudernden Armen, wie es die Automobilklubs empfehlen, ging er zuerst um sein Fahrzeug, dann um unseren Wagen. Ich krampfte die Hände ums Lenkrad, aber der Kerl hatte nur Augen für meine Beifahrerin, die jetzt brav und aufrecht dasaß und ihren Fettstift erneuerte.
    »Elmar, du brauchst wirklich ein paar Tage Urlaub! Was ist?«
    »Nichts. Mir gehen nur diese sportlichen Typen auf den Geist.«
    Mit dem nächsten Schub kamen wir über die Grenze. Ich atmete auf. Wenn die LKA-Leute jetzt noch was von mir wollten, mußten sie bei den Nachbarbehörden Amtshilfe ersuchen – das würde dauern. Blieben noch die Jungs aus dem Milieu, die sich nie um Grenzen geschert hatten; aber bei denen, nun, da traute ich mir durchaus eine Chance zu.

52.
     
     
     
    Es dunkelte, wir wurden hungrig und müde. Doch die Zeit drängte, und so fuhren wir weiter, aßen Obst und wechselten uns beim Fahren ab. Judith war eine ausgezeichnete Fahrerin, schnell und sicher. Vom Wechsel der Landschaften kriegten wir kaum etwas mit. Nachdem ich auf dem Beifahrersitz ein paarmal eingenickt war, machten wir auf einem Rastplatz eine kurze Pause. Dann fuhren wir weiter, hörten Musik aus dem Autoradio oder quatschten.
    Ein lange gemeinsame Fahrt durch die Nacht schafft Vertrauen. Man redet, um die Stille zu überbrücken, man berührt sich, um dem anderen zu zeigen, ich bin noch wach.
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