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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes
Autoren: Carmine Abate
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gutaussehender Kerl, groß und kräftig, mit lebhaften Augen und freundlicher Art. Er gefiel den Frauensehr. Und außerdem, wo doch seine Brüder im Krieg gefallen waren, Gott schütze uns, würde er den kompletten Rossarco erben, also war er eine wirklich gute Partie, noch dazu ein zäher Arbeiter, kurz, einer, den man schnellstmöglich heiraten sollte. Mit einer Einschränkung allerdings oder einem Vorzug, der ihn unberechenbar machte: seine eigene Art zu denken, in die Gegenrichtung zu denken. Tatsächlich wählte er das Mädchen, mit dem niemand gerechnet hatte, dasjenige, das ihn links liegen ließ, keinen seiner Blicke erwiderte, auch nicht das kleinste Lächeln. »Lina ...«, so nannte er sie und pfiff auf die anderen. Sie tat so, als hörte sie ihn nicht, drehte sich niemals um.
    Wenn sie in der Kirche die Augen schloss, vielleicht um zu beten, ging ein entrücktes Leuchten über ihr Gesicht. Arturo betrachtete, wie sie ihren Schmollmund langsam öffnete und schloss, sich manchmal unruhig auf die Lippen biss. Er wertete das als kleine Zeichen, die es zu entschlüsseln galt, als ermutigendes Ja, wenn nicht sogar als Liebes-Ja. Wäre es nicht ein skandalöses Sakrileg gewesen, hätte er sie mit einem Kuss vor den Augen aller Heiligen und des ganzen Dorfes erlöst. Zuzutrauen war es ihm.
    »Arturì, wetten, dass sie sich den Teufel um dich schert?«, zogen die Freunde ihn beim Verlassen der Kirche auf.
    Er lächelte selbstgewiss: »Ihr braucht nicht zu wetten, sie hat längst ja gesagt.«
    Von diesem Moment an begann er sein aufreibendes Werben. Jeden Tag, wenn er vom Rossarco zurück war, aß er, wusch sich, rasierte sich die harten Bartstoppeln und setzte sich auf das Mäuerchen vor Linas Haus. Es war unmöglich, ihn zu übersehen.
    Die Freunde hielten ihm bösartig vor, er gebärde sich wieein frecher Gockel, denn das Mädchen war das einzige Kind im Haus, ihr Vater weit weg in La Merika. Arturo gab keck und verliebt zurück: »Ich würde auch dann nicht weichen, wenn ein Vater und drei Brüder vor mir ständen, um mir bei lebendigem Leibe das Fell abzuziehen.«
    Ihrer Mutter missfiel solche Unverfrorenheit nicht, immerhin hatte der junge Mann ernste Absichten, das wusste das ganze Dorf. Und sie wartete, dass er die fünf Schritte vom Mäuerchen zu ihrem Haus zurücklegen würde, um im Beisein seines Vaters Alberto um die Hand ihrer Tochter anzuhalten.
    Lina schien die honigsüße Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwurde, nicht wahrzunehmen, sie widmete sich unermüdlich den häuslichen Pflichten. Vor seinen insistierenden Blicken errichtete sie eine Mauer aus Glas, ließ sich gleichmütig anhimmeln, und manchmal beobachtete sie ihn aus den Augenwinkeln. Doch sie war weder dünkelhaft noch unnachgiebig und dumm wie ein Flusskiesel. Sie war schon siebzehn und in aller Augen überreif für die Ehe, viele Mädchen ihres Alters hatten bereits Kinder.
    »Worauf wartest du noch, diesem tüchtigen Jungen da auf der Mauer die Arme zu öffnen?«, fragten die von der Mutter aufgehetzten Nachbarinnen sie.
    »Zur Zeit interessiere ich mich für niemanden«, erwiderte sie verstimmt. Sie fühlte sich schlicht noch nicht bereit für diesen Sprung in eine Welt, die sie gleichzeitig anzog und abstieß. Die verheirateten Frauen waren nicht glücklich, das ahnte sie, sie waren vielmehr Dienerinnen, die aus Pflichtgefühl lächelten und sich ihren Männern unterordneten. Im Blick ihrer Mutter las sie eine nachtragende Unzufriedenheit: Sie weinte ihrer sorglosen Jugend hinterher, und es vergingkein Tag, an dem sie ihren Mann nicht verfluchte, indem sie ihn verächtlich einen schäbigen Nichtsnutz nannte, der den Ehering für eine Merika-Hure ins Meer geworfen habe und weder mit einem Brief noch dem geringsten Dollaro je wieder von sich hatte hören lassen.
    Arturo gab nicht auf. Immer samstags und vor jedem Feiertag widmete er ihr eine serenata . Stundenlang stand er singend und sich auf der Gitarre begleitend unter Linas Balkon, zusammen mit einem Freund am Akkordeon und einem an der Leier. Er konnte gut spielen. Mit dem aufrichtigen Herzschmachten eines Verliebten drückte er den länglich gewölbten Klangkörper an seine Brust und entlockte ihm gleißende Arpeggios im Rhythmus seiner auf die Gitarre trommelnden Fingerkuppen. Seine Stimme bebte vor Liebesspannung, abgesehen von dem einen oder anderen falschen Ton, seine Botschaften segelten auf ihr Bett wie Rosenblüten aus dem Schnabel einer freundlichen Schwalbe: »Schwalbe, flieg
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