Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes
Autoren: Carmine Abate
Vom Netzwerk:
Sohn, den Ihr als ein Wunder des Jesuskindleins empfangen müsst.«
    Der dritte Sohn, Arturo, kehrte etwa eineinhalb Monate nach Kriegsende zurück, an den Weihnachtstagen des Jahres 1918.
    Der keckste der drei Brüder hatte überlebt, der verrückte Draufgänger, die weiße Schwalbe, der Unterdrückung und Ehrlosigkeit hasste und dem der Vater bis zum Überdruss Vorsicht gepredigt hatte, pass nur auf, mein Sohn, dass du keine Scherereien bekommst, und spiel bloß nicht den Helden.
    Arturo fühlte sich wie durch ein Wunder gerettet. Niemals erzählte er vom Krieg, nur dass er ekelerregend war wie alle Kriege, wenn nicht noch mehr, angesichts der ungeheuerlichen Zahl an Toten und Verletzten, und dass er nicht verstanden hatte, für wen oder was er kämpfte. Für das Vaterland? Wo war das Vaterland, als seine Brüder und seine Gefährten in den Schützengräben starben? Das Vaterland hatte all dieses junge Blut doch gar nicht verdient. Aber im Gegensatz zu seinen Eltern, die in endloser Schwermut versanken, vermochte Arturo seinen Schmerz im Zaum zu halten und ihn in antreibenden Zorn zu verwandeln.
    Er nahm die Arbeit auf dem Rossarco mit dreifacher Energie wieder auf, die Kraft der Brüder schien auf seine Muskeln übergegangen zu sein, und bald schon zerrte er auch die Eltern aufs Feld unter dem Vorwand, Hilfe zu brauchen. In Wirklichkeit ertrug er die Einsamkeit nicht, die Stille desHügels an den seltenen windlosen Tagen, wenn das graue Auge des Toten, stets wachsam zwischen Kirschbäumen und Wald, ihn hämisch verfolgte und ihm mehr Angst einjagte als die vielen Gefährten, die in den Schützengräben im Lagorai-Massiv nur wenige Schritte von ihm entfernt niedergemetzelt worden waren.
    Dann, eines Tages, ließ er wissen, dass er sich zum Ende der Trauerzeit verheiraten wolle. »Ich will eine Frau, ich will Kinder und vorankommen mit der Arbeit auf unserem Land; wenn mir das nicht gelingt, so schwöre ich, gehe ich ins gelobte La Merika«, verkündete er auf der Piazza, damit es alle hörten. Und wenn ihn jemand fragte, wie es zu dem Wunder gekommen sei, wie er der Hölle der Schützengräben widerstanden habe, antwortete Arturo ohne Zögern, aber mit einem Anflug von Ironie im Blick: »Außer an die Eltern habe ich Tag und Nacht an unseren Hügel gedacht. Ich konnte nicht sterben. Ich musste leben und zurückkehren, ich musste einfach, verwundet vielleicht, doch am Leben, um wieder seinen Duft zu atmen.«
    Oberstes Ziel also: die Frau.
    Durch den Krieg und die Emigration gab es im Dorf mindestens fünfmal so viele Mädchen im heiratsfähigen Alter wie Männer auf Brautschau. Arturo Arcuri ließ es also ruhig angehen und schloss eine arrangierte Hochzeit, wie sie damals üblich war, von Anfang an aus.
    Jeden Sonntag ging er in die Kirche und sah sich die Mädchen an. Er begutachtete sie bis ins kleinste Detail, vor allem wenn sie an ihm vorüberzogen, um die heilige Hostie zu empfangen. Die Gerüchte über die mehr oder weniger stattliche Mitgift der einen oder der anderen ließen ihn kalt.Schön und gesund mussten sie sein. Und wunderschön waren sie: gerade Schultern, wohlgeformte Brüste, blitzende Augen, strahlend weiße Zähne, Kussmünder. Das Dorf war nah und fern berühmt für seine schönen Frauen. Arturo blieb nur die Qual der Wahl.
    »Hast du die Richtige schon gefunden?«, fragten ihn seine Freunde.
    »Ich schon. Doch jetzt muss sie mich noch erwählen, sonst macht es keinen Spaß: Alles Gewicht läge in meiner Waagschale, und das würde mir nicht gefallen.«
    »Was?«
    »Wenn die Begierde fehlt, wenn du ihr Blut nicht in Wallung bringst wie sie das deine, dann ist die Ehe ein Räderwerk, das nicht greift, das stockt, und dann wird das Leben mühsam und fad.«
    »Was redest du denn da? Und wer soll diese eine sein?«
    »Tja, ihr habt eben keine Ahnung.«
    Sie, das war eines der vier Mädchen, die noch auf seiner persönlichen Auswahlliste verblieben waren. Wie sollten die anderen das verstehen? Was für ein Typ, dieser Arturo. Die Freunde meinten, der Krieg habe ihm das Hirn verhakt. Manchmal verhielt er sich wie ein Fremder, der nichts von den Gepflogenheiten des Dorfes wusste.
    »Du wirst schon merken, dass keine dir auch nur ein Lächeln schenkt«, sagten sie zu ihm, »die jungen Frauen aus unserem Dorf müssen sich nämlich weder verstecken noch zu Markte tragen.«
    Sie irrten: Nicht weniger als drei Mädchen seiner Vorauswahl lächelten ihm zu und machten ihm schöne Augen.
    Arturo war ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher