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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes
Autoren: Carmine Abate
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mir zum Meer, zum Meer, zu meiner Liebe, die im Schatten schläft, o Schwalbe mein, zu ihr, die im Schatten schläft ...« *
    Eines Tages im Herbst begann es zu regnen, als Arturo schon auf dem Mäuerchen in der Gasse saß. Vergeblich steckte er seinen Kopf schützend unter die Jacke, der Regen prasselte weiter unversöhnlich auf ihn herab, nahm ihm die Sicht, zwang ihn, fröstelnd die Schultern einzuziehen, raubte seiner verliebten Anwesenheit vor der Tür und den verriegelten Fenstern jeglichen Sinn. Doch er bewegte sich keinen Zentimeter fort, wartete, dass der Regen aufhörte, wartete auf das Wunder.
    Sie öffnete die Tür, endlich, beugte sich nur ein wenig hinaus,um ihre langen schwarzen Haare nicht nass zu machen, und rief laut über den Lärm des tosenden Regens hinweg: »Komm schon, Sturkopf. Komm herein, sonst erkältest du dich noch.« Ihr Lächeln funkelte wie ein Sonnenstrahl durch den prasselnden Regen. Recht betrachtet, wog es fast mehr als die Einladung, dieses von Staunen durchzogene Lächeln, wog mindestens so viel wie der erste Kuss. Arturo sollte beides nie vergessen, weder das Lächeln noch den ersten Kuss.
    Im Haus war kein Mensch. Draußen strömte der Regen.

3
    Lina und Arturo, meine Großeltern, heirateten am 26. Juli 1920. Die kirchliche Trauung war wie von einem melancholischen Schleier überzogen, das darauf folgende Fest im Hause der Braut von maßvoller Fröhlichkeit, jedoch ohne den rechten Hochzeitsjubel. Zu frisch waren die Wunden des Krieges, so dass Arturos Eltern nach der Trauung nicht mit Brautpaar, Verwandten und Freunden feierten. Sie hatten ihre Pflicht getan und ihre Trauer für einen Vormittag abgelegt, mehr konnte man nicht erwarten von einer Mutter und einem Vater, deren Gesichter von dem unsagbaren Leid tief gezeichnet waren.
    Niemand nahm es ihnen übel, jeder fand tröstliche und solidarische Worte für die Arcuris, die so vom Pech verfolgt waren, so glücklos im Glück. Keine Scheinheiligkeiten, die Worte waren aufrichtig, man fühlt immer mit denen, die durch die Hölle gehen, selbst wenn dieselben Leute vor dem Krieg Familie Arcuri beneidet und ihnen alle erdenklichen Übel an den Hals gewünscht hatten.
    Es war ein drückend heißer Sonntag. Die Gäste tranken Wasser, Wein mit Wasser gemischt, schließlich Wein pur, den kräftigen vom Rossarco. »Es ist entsetzlich heiß, der Wein trocknet den Schweiß«, so rechtfertigten sie sich unisono. Erst später, als viele schon angeheitert waren, entfesselten die jungen Leute eine atemberaubende Tarantella.In jener Nacht improvisierten der Trauzeuge und eine fröhliche Schar begabter Musiker einen endlosen Sangesabend, weil der Bräutigam nicht nach ein paar Stücken mit dem von Wein- und Schnapsflaschen überbordenden Korb aus dem Zimmer kam, wie es Tradition war, mit Brot und Taralli, Wurst, Schwartenmagen, Coppa, Schweinebauch, Schinken, Sardinen, scharfer Nduja-Wurst und Provola-Käse. Sie sangen und spielten ihr gesamtes Repertoire an neapolitanischen und kalabrischen Volksliedern, doch der Bräutigam wollte einfach nicht die Tür öffnen, vielleicht war er eingeschlafen, vielleicht trieb er seinen Spaß mit ihnen, vielleicht hörte er sie nicht, also grölten sie noch lauter auf die Gefahr hin, bei den hohen Tönen danebenzuhauen.
    Und wirklich hörte Arturo die Lieder nicht, sondern nur die Wonneseufzer und kleinen Lustschreie seiner jungen Frau. Die ihn anflehte, weiter ihre Brüste zu küssen und sich mit diesen langsamen und festen Stößen zu bewegen, die ihr Schmerz und Genuss bereiteten, die ihren Körper mit nie gekannter Wärme erfüllten, einem unerwarteten Feuer, dem Paradies auf Erden.
    Lina hatte sich ihm mit einem Vertrauen hingegeben, das er nicht enttäuschen durfte. Arturo war in der Liebe wenig erfahren, zweimal hatte er es gegen Geld getan, fünf oder sechs Minuten insgesamt, gerade genug, um zu sehen, wie eine Frau vom Bauchnabel abwärts beschaffen war. Doch angesichts einer Ehefrau, die so begierig darauf war, geliebt zu werden, die sich ohne Scham auszog und ihm Brüste und Mund mit lustvoller Begierde darbot, war seine Erfahrung von Kuss zu Kuss gewachsen und hatte alle Lektionen in kürzester Zeit durchlaufen.
    Im tiefsten Innern staunte Arturo, wie einfach und schöndie Liebe war, während sie ihn bat, nie wieder aufzuhören. Und er gehorchte ihr gern, die Haare auf Brust und Kopf nassgeschwitzt, der heiße Körper schweißgetränkt.
    Nach dem ersten Mal hatten sie sich mit Leinentüchern
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