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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevor Shane
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Schritt meines Plans war ohne Probleme aufgegangen.
    In einer schnellen, koordinierten Bewegung ließ ich ihr Handgelenk los und nahm die andere Hand von ihrem Mund, um ihr beide Hände um den Hals zu legen. Ohne Zeit zu verlieren, drückte ich zu. Alles ging so schnell, dass auch dann kein Laut zu hören gewesen wäre, wenn sie den Mut aufgebracht hätte zu schreien. Ich sah ihr ins Gesicht, während ich ihr die Luft zwischen Lunge und Gehirn abdrückte. Sie starrte mir in die Augen, als sich meine behandschuhten Hände fester um ihre Kehle schlossen. Ihr Gesicht lief langsam rot an, während sich ihr Mund öffnete und schloss und vergeblich versuchte, ein letztes Mal nach Luft zu schnappen. Sie zeigte kaum Gegenwehr. Kein Treten, kein Schlagen, nur Keuchen. Ein paar Tränen rollten ihre Wangen hinunter, und ihr rot angelaufenes Gesicht verfärbte sich langsam bläulich. Inzwischen konnte ich ihren Puls selbst durch meine Handschuhe spüren, als ihr Herz wie wild zu arbeiten begann, um ihr Gehirn mit Sauerstoff zu versorgen. Ich konnte ihren Puls in meinen Daumen und in meinen kleinen Fingern fühlen. Meine Zeigefinger spürten nur, wie sich die Muskeln in ihrem Hals anspannten. Falls sie noch zu klaren Gedanken fähig war, galten diese jetzt zweifellos ihren Söhnen, ob es ihnen gut ging, ob sie sie noch ein letztes Mal würde hören können, ihre kleinen Stimmen, ihr Lachen. Fehlanzeige. Das einzige Geräusch, das aus der Wohnung drang, war das des Fernsehers.
    Ihre Augen wurden glasig, und aus ihrem linken Nasenloch begann ein Rinnsal Blut zu fließen. Zuerst sammelte es sich innerhalb der Nase, und dann rann es schnell nach unten zu ihren Lippen. Ihr eigenes Blut sollte das Letzte sein, was sie schmeckte. Sie wandte nicht ein einziges Mal den Blick von mir ab. Ihre Augen hatten keinen fragenden Ausdruck. Sie kannte mich nicht, doch sie wusste, weshalb ich sie töten musste. Sekunden später war sie tot.
    Ich ließ ihren Körper zu Boden sinken und richtete mich wieder auf. Sie lehnte im Dunkeln mit angezogenen Knien zusammengesackt an der Tür, und das Blut auf ihrem Gesicht begann bereits zu gerinnen. Ihre Augen waren geöffnet, aber leblos. Ich empfand so gut wie nichts. Ich war gefühllos. Ich fand keinen Gefallen an dem, was ich getan hatte. In der Vergangenheit hatte ich verschiedene Stadien durchgemacht. Wir alle machen Stadien durch – verschiedene Emotionen. Macht. Stolz. Schuld. Ich empfand jedoch nichts von alledem. Das Einzige, was ich empfand, war Zufriedenheit mit einem gelungenen Job. Von diesem hatte es geheißen, er sei einfach. Ich nehme an, das war er auch.
    Ich entfernte mich von der Leiche, trat zurück ins Licht, drehte mich um und ging davon, als sei nichts geschehen. Sie würde in ein paar Stunden gefunden werden. Die Babysitterin würde sich bald fragen, weshalb die Mutter der Kinder so lange nicht von der Arbeit nach Hause kam. Sie würde ihre Eltern anrufen, die daraufhin in der Weinhandlung anrufen würden. Die Eltern würden schließlich vorbeikommen und die Polizei verständigen, die die Leiche finden würde. Als ich wegging, normalisierte sich mein Puls. Ich zog die Handschuhe aus und verstaute sie wieder in meiner Tasche. Morgen würde ich die Stadt verlassen, und dieses Verbrechen würde unaufgeklärt bleiben. Das Viertel würde für ein paar Wochen in leichte Panik verfallen, doch dann würden sich die Wogen wieder glätten. Für alle, außer für ihre Angehörigen, würden die Ereignisse dieser Nacht irgendwann nur noch eine Geschichte sein, die Kinder sich gegenseitig erzählen, wie eine Gespenstergeschichte am Lagerfeuer, ein echter Tod, zum Großstadtmythos mutiert. Ihre Angehörigen würden ebenso wenig wie sie selbst hinterfragen, weshalb sie getötet worden war. Genauso wie ich nicht hinterfragte, weshalb ich sie getötet hatte. Die Antwort war nämlich ganz simpel: Ich hatte sie getötet, weil ich gut bin und sie böse war. Zumindest war mir das so beigebracht worden, Maria.
    Ich müsste lügen, wenn ich abstreiten würde, dass ich das manchmal noch immer glaube.

ZWEITES KAPITEL
    Am nächsten Morgen spulte ich nach dem Aufwachen mein normales Programm ab. Training. Zweihundert Liegestütze, vierhundert Sit-ups. Frühstück und anschließend acht Meilen laufen. Da ich früh aufgestanden war, waren die Straßen noch wie ausgestorben. Ich war gegen halb zwei Uhr nachts wieder in der Wohnung meines Gastgebers in Jersey City angekommen. Nach vier Stunden Schlaf war ich

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