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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt
Autoren: Trevor Shane
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trachteten. Ich wurde zu solchen Veranstaltungen eingeladen, weil ich den Tod repräsentierte. Sie kannten ihn noch nicht, doch er war ihre Zukunft. Einer unserer Geheimdienstmitarbeiter würde den Vortrag halten. Gegen Ende seiner Ausführungen würde er mich vorstellen. Meine Aufgabe war es, den Jugendlichen zu erzählen, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiente, um ihnen vor Augen zu führen, was eines Tages aus ihnen werde könnte. Es handelte sich um eine Art Berufsinformationstag für Kriminelle in spe.
    Der Vortrag fand im Wohnzimmer eines Hauses in einem wohlhabenden Vorort von Chicago statt. Die Jugendlichen saßen auf Sofas und gepolsterten Esszimmerstühlen, die von den Erwachsenen für den Vortrag in den Raum gestellt worden waren. Alle Sitzgelegenheiten waren so positioniert, dass sich die Blicke der Jugendlichen auf eine leere Wand richteten, vor der normalerweise ein Fernseher stand. Der Gastgeber der Veranstaltung hatte selbst drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter. Das älteste Kind, einer der Jungs, hatte in zwei Monaten seinen sechzehnten Geburtstag. Der Vater war mit seinen beiden jüngeren Kindern in die Stadt gefahren. Irgendwann würden auch sie sich diesen Vortrag anhören müssen, aber noch nicht heute. Die meisten Eltern versuchten, ihre Kinder so lange wie möglich vor dem Krieg zu schützen.
    Insgesamt waren acht Jugendliche anwesend, die alle aus Chicago und Umgebung stammten und alle in den nächsten drei Monaten sechzehn wurden. Drei Mädchen und fünf Jungs. Die Eltern hatten ihre Kinder für den Vortrag abgesetzt, sie zum Abschied geküsst, ihnen versprochen, sie in etwa vier Stunden wieder abzuholen, und beim Wegfahren vermutlich geweint. Das hier war keine Bar-Mizwa oder Erstkommunion. Hier ging es nicht um eine Zeremonie, sondern schlichtweg um das Ende der Unschuld dieser Jugendlichen. Keiner von ihnen hatte eine genaue Vorstellung, worum es in dem Vortrag gehen würde, aber vollkommen ahnungslos war auch keiner. Wenn man wie ich in einer solchen Familie aufwächst, kommt man nicht umhin, Dinge zu wissen.
    Ich saß ganz hinten im Zimmer auf einem der Stühle. Während des Vortrags würde ich die meiste Zeit nur zuhören und meinen Teil erst am Ende beitragen. Anschließend würden der Referent und ich Fragen beantworten. Uns wurden immer viele Fragen gestellt. Wir beantworteten diejenigen, die wir beantworten konnten. Einige Fragen blieben einfach unbeantwortet. Beim heutigen Referenten handelte es sich um einen Typen namens Matt vom Geheimdienst. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen, und ich würde ihn vermutlich auch nie wieder sehen. Für unsere Paarung gab es keinen ersichtlichen Grund. Den gab es nie. Matt war mit einem dunkelblauen Nadelstreifenanzug bekleidet. Sein Haar war kurz geschnitten, und er trug eine Brille mit silberfarbenem Metallgestell. Er sah aus wie ein Banker. Die Jugendlichen stellten unsere Kapitalanlage dar.
    Matt begann mit seinem Vortrag. »Hallo zusammen. Mein Name ist Matt. Ich bin hier, um euch ein bisschen was über die Welt zu erzählen und wie ihr in sie hineinpasst. Ich bin nicht hier, um euch zu belehren. Das ist ein Vortrag, aber ihr dürft jederzeit Fragen stellen. Ich nehme an, es wird so ähnlich wie in eurem Sexualkundeunterricht an der Highschool, mit dem Unterschied, dass ich euch ein paar Dinge erzählen werde, die ihr noch nicht wisst.« Gut so, schmier ihnen Honig ums Maul, dachte ich. Seine Bemerkung brachte ihm ein paar nervöse Lacher der Jugendlichen ein. Sie warfen sich verstohlene Blicke zu, als versuchten sie herauszufinden, ob es in Ordnung sei zu lachen. Es ist in Ordnung zu lachen, Leute, dachte ich. Ihr solltet lieber jetzt lachen, solange euch noch danach zumute ist. Matt fuhr fort. »Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn sich jeder kurz vorstellt, bevor wir anfangen, nur mit dem Vornamen. Erzählt uns ein bisschen was über euch, ob ihr in einem Verein seid, welchen Sport ihr macht, über eure Hobbys, eure Lieblingsband, was auch immer.« So war das bislang bei jedem Vortrag abgelaufen, dem ich beigewohnt hatte. Ich hatte es schon immer für seltsam gehalten, da von jetzt an ein großer Teil ihres Lebens in Heimlichkeit gehüllt sein würde. Normalerweise ging es darum, so wenig Informationen wie möglich über sich preiszugeben, wenn man sich zu zehnt in einem Raum befand. Schweigen bedeutete Sicherheit. Das hier war etwas anderes. Das hier war das erste Mal für diese Jugendlichen. Es war wichtig für sie zu
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