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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition)
Autoren: Verena Carl
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    Objekte im Rückspiegel sind näher, als sie scheinen.

3.

    G erade haben sich meine Augen an die Höhe, die Geschwindigkeit um uns herum gewöhnt, da tauchen wir schon wieder durch einen Tunnel. »Über uns ist der East River«, erklärt Anne, »am anderen Ufer wohne ich. In Queens.«
    Eigentlich hatte ich gedacht, dass es in New York überall so ähnlich aussehen würde wie in Manhattan. Vielleicht, weil man im Kino immer die gleichen Bilder sieht. Aber Fehlanzeige. Die Gitarren in meinem Kopf spielen noch ein paar hässliche Akkorde wie bei einem Punkkonzert, dann hören sie ganz auf.
    Ich kann es nicht erwarten, an den Ort zu kommen, wo ich die nächsten vier Wochen verbringen werde, ich will, dass wir endlich da sind. Und ich will es gleichzeitig nicht, denn hier gefällt es mir gar nicht. In Queens sieht es eher aus wie in New Jersey, wo der Flughafen liegt. Rechts und links ist die Schnellstraße von Lärmschutzwällen eingekeilt, dahinter ducken sich pastellfarbene Holzhäuser mit höchstens zwei Stockwerken. Wir nehmen eine der ersten Ausfahrten. Hier werden die Straßen von festungsartigen Reihenhäusern aus Backstein gesäumt und von Läden mit handgeschriebenen Sonderangebotsschildern im Schaufenster. Aber noch ist ja die Fahrt nicht zu Ende. Vielleicht wird hinter der nächsten Straßenecke alles anders.
    »Da sind wir«, sagt Anne.
    Sie parkt ihr Auto, stellt den Automatik-Hebel auf »P« und zieht den Schlüssel ab. Einen Moment lang hoffe ich wider besseres Wissen, dass sie nur noch etwas besorgen oder abgeben muss. Das hier kann es einfach nicht sein.
    Klar, ich habe etwas anderes gewollt als mein Zimmer mit den hellblauen Vorhängen und der grünen Cordsamt-Tagesdecke, die meine Mutter jeden Tag auf mein Bett wirft, obwohl ich das spießig finde. Aber doch nicht so was.
    Anne’s Family Diner, steht auf der Markise über dem schmuddeligen Glasfenster im Erdgeschoss. Die Buchstaben leuchten babyrosa. Ein Mülleimer aus grobem grünem Drahtgeflecht lehnt wie betrunken neben der Tür an der Ziegelmauer. Auf einem Balkongitter im dritten Stock fristen ein paar Blumen in Steinkästen ihr Leben. Nur eine Feuerleiter an der Fassade erinnert mich daran, dass ich in New York bin.
    Anne steigt aus dem Auto, öffnet die Tür des Restaurants und macht eine einladende Handbewegung. Ich tu so, als würde ich sie gar nicht sehen, und beschäftige mich mit meinem Koffer. Mache die Schnallen etwas enger und reibe mit dem Mittelfinger an einem kaum sichtbaren Fleck auf dem Adressetikett. So lange brauche ich, um meine Tränen zurückzukämpfen.
    Anne scheint meine Enttäuschung nicht zu bemerken. Ich bin eben doch eine gute Schauspielerin. Vielleicht sollte ich bei meiner Berufswahl noch einmal darüber nachdenken. Nach der Szene gerade eben hätte mich jedenfalls jeder Intendant vom Fleck weg engagiert. Schade, dass ich immer nur begabt bin, wenn niemand hinschaut.
    »Komm rein«, sagt Anne, »hast du Hunger?«
    Ich wuchte meinen Rollkoffer durch die Schwingtür und sehe mich um. Links stehen zwei rosa Tische, darauf braune Plastiktabletts voller Müll: Styroporschachteln mit halb aufgegessenen Sandwiches, Evian-Flaschen mit Strohhalmen, an denen Lippenstift klebt, ein paar kalte Pommes. Rechts von der Tür sitzen zwei alte Frauen und säbeln mit Plastikbesteck an Hamburgern herum. Die Theke ist tatsächlich aus Chrom, so wie ich es mir in einem Diner vorgestellt habe, aber sie wirkt stumpf.
    Hunger habe ich keinen mehr.
    »Kann ich mein Zimmer sehen?«, frage ich, als wäre ich in einem Hotel.
    Anne schlägt sich mit einer übertriebenen Geste an die Stirn. »Ich hab ganz vergessen, was für eine lange Reise du hinter dir hast! Du musst so müde sein!« You must be soooo tired . »Möchtest du dir was zu trinken mitnehmen?«
    Sie deutet auf eine Batterie von Fläschchen mit giftig aussehendem Inhalt in dem gläsernen Kühlschrank neben der Theke. Zwischen Kiwi-Stachelbeer-Saft und Diät-Zitronentee finde ich eine Cola light, greife danach und folge Anne durch eine Hintertür in einen schwach beleuchteten Korridor.
    Es riecht nach Frittierfett und fauligem Obst. Der Hausflur erinnert mich an einen Uralt-Schlager von Udo Jürgens. Wir haben ihn auf meiner Abschiedsparty so lange gespielt, bis meine Mutter kam, sich ein Glas Wein eingoss und drohte, meinen Laptop samt Boxen in den Sondermüll zu stecken. Ich war noch niemals in New York , beginnt der Refrain. In der ersten Strophe überlegt ein Mann, vor der
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