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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition)
Autoren: Verena Carl
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Straßenschluchten und gelbe Taxis, an Gitarrenspieler im Central Park und die Freiheitsstatue.
    »Es ist alles schon so unwirklich hier«, sagte ich laut. Max biss sich schon wieder schief auf die Unterlippe. Kein besonders origineller Beitrag zu unserem Gespräch.
    Ich will nicht ungerecht sein. Max war noch nie ein großer Redner, aber er hat andere Qualitäten. Vor allem seine absolute, seine unverbrüchliche Treue. Und damit meine ich nicht nur, dass ich mir keine Sorgen machen muss, wenn er mit einem anderen Mädchen Kaffee trinken geht. Es ist mehr als das. Wenn er sich einer Sache wirklich verschrieben hat, oder einem Menschen, dann bringt ihn auch so schnell nichts davon ab. Das gilt für die Liebe genauso wie für seinen Ehrgeiz, alle Mixe seiner Lieblings-DJs auf Schallplatte zu besitzen und nach seltenen 45er-Singles aus den Siebzigerjahren zu fahnden, auf Flohmärkten oder im Internet. Ein skurriles Hobby, das ihn sogar richtig gesprächig machen kann. Aber obwohl Max zur Vinyl-Fraktion gehört, brennt er CDs für mich. Und zum Abschied hat er mir einen USB-Stick um den Hals gehängt, vollgeladen mit Musik für jede Stimmung. Damit ich mir auch beim Herumlaufen in New York meinen eigenen Soundtrack zum Leben abspielen kann.
    »Er ist ein Netter«, sagt meine Mutter über ihn. So, wie sie es betont, klingt es ziemlich abschätzig.
    Aus dem Mund meiner Freundin Paula hört sich das ganz anders an. »Max ist total retro«, sagt sie und meint es als Kompliment.
    Und sie hat ja recht, nicht nur, weil Max alte Langspielplatten sammelt. Auch seine Verlässlichkeit hat fast etwas Altmodisches. Seit 25 Monaten hat Max nie unseren Jubiläumstag vergessen. Er zahlt sogar meine Kinokarten und meine Getränke, seitdem er mit seiner Lehre bei einer Versicherung angefangen hat.
    Und außerdem war er der erste Junge, mit dem ich geschlafen habe.
    Ich weiß, das ist nicht alles. Aber doch viel.
    »Brauchen Sie das?« Zwischen zwei Fingern mit langen, zartrosa lackierten Nägeln hält meine Sitznachbarin ein Tempo. Ich nehme es an und habe ein schlechtes Gewissen wegen meiner abschätzigen Gedanken über die Frau. Sie ist wirklich sehr hilfsbereit.
    Der rote Soßenfleck klebt auf mir wie Blut und wird größer, je mehr ich reibe.

    Der Teppich in der Empfangshalle des Flughafens kommt mir bekannt vor. Er ist grün und grau, mit harten Borsten, aber ich komme nicht darauf, wo ich so einen schon mal gesehen habe. Mehr als genug Zeit zum Nachdenken habe ich. Ich warte zwischen Seilen, die von einem braunen Metallpflock zum nächsten gespannt sind, dass mir der Beamte an der Passkontrolle seinen Stempel auf die hellgrüne Einreisekarte gibt. Dazu zeichne ich mit der Spitze meines Turnschuhs Muster auf den Teppich und versuche anzukommen.
    Das hier ist New Yorker Boden. Aber das scheint mir genauso unwirklich wie die Länder, die ich gerade überflogen habe. Wie Kanada und Grönland, 10 000 Meter unter mir, während ich mit Tomatenflecken kämpfte.
    »Miss! Next please!«
    Ein älterer Schwarzer in Uniform winkt mich an den Schalter. Ich lasse lässig meine Papiere auf den Tresen fallen und lächle. Er lächelt nicht zurück und sagt etwas, das ich nicht verstehe. Ich spüre, wie meine Lippen einfrieren. Etwas stimmt nicht.
    Er wiederholt: »Warum schmeißen Sie mir Ihren Pass so hin?«
    »Sorry« , höre ich mich sagen, ein paar Töne höher als normalerweise. Er grunzt etwas, nestelt am Knopf seines Jackenärmels und studiert dann meine Einreisekarte. Zwischen seinen Augenbrauen bildet sich eine steile Falte. »Was ist das für eine Adresse?« Wieder verstehe ich nicht, was er meint. Was ist mit Annes Anschrift nicht in Ordnung?
    »It is the flat I am going to live in« , versuche ich, während mir einfällt, dass »Wohnung« in den USA nicht flat , sondern apartment heißt.
    »What kind of place is that?« Ich versuche ihm zu erklären, wer Anne ist. Das reicht ihm nicht. Warum ich vier Wochen in New York Urlaub machen würde, will er wissen. Ob ich eine Kreditkarte habe. Ich werde nervös. Was nützt es mir, dass ich mal vierzehn Punkte für einen Essay über Arthur Miller bekommen habe, wenn ich mich kaum mit einem Beamten an der Passkontrolle verständigen kann?
    »Do you have any cash, Miss?«
    Das Blut steigt mir zu Kopf. Hektisch taste ich nach dem Bündel in meiner Innentasche. Seit Frankfurt trage ich es direkt am Körper, da ist das Geld am sichersten. Als ich danach greife, zittern meine Finger so stark, dass ich
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