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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition)
Autoren: Verena Carl
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Gesicht vorstellen, wenn ich es ihm sagen würde. Wie er sich schief auf die Unterlippe beißen würde, wie immer, wenn er nach Worten suchte und nicht wusste, was er von etwas halten sollte.
    In einem Punkt war ich ganz sicher. Er würde nicht versuchen, mich zurückzuhalten. Max ließ mir viele Freiheiten.
    Manchmal gefiel mir das sehr. Manchmal überhaupt nicht.
    »Und du glaubst, wenn ich eine Zeit in New York verbringe, wird mir klarer, was ich danach machen will?«
    »Nicht automatisch«, sagte mein Vater noch. »Es liegt an dir. Ich bin dir nicht böse, wenn du zurückkommst und dich immer noch nicht entscheiden kannst. Sieh’s mal so: Das ist mein Abiturgeschenk. Wenn es dich weiterbringt, umso besser.«
    Als wir das Lokal verließen, drückte er mir den Autoschlüssel in die Hand.
    »Aber ich bin noch nicht so oft nachts gefahren«, sagte ich.
    »Macht nichts«, sagte er. »Erstens musst du es irgendwann lernen. Und zweitens bin ich bei dir.«

2.

    E xcuse me, Miss, would you like chicken or pasta?«
    Sieht so aus, als müsste ich mich schon wieder entscheiden. Dieses Mal hat mich die linke der beiden Flugbegleiterinnen bemerkt. Auf dem Bildschirm vor mir läuft ein tonloser Film. Ein blonder Junge mit Schmollmund läuft durch eine Straße. Auf dem nassen Asphalt spiegelt sich ein Neonschriftzug. Über ihm hängen Plakate. Kinowerbung. Filme im Film. Ich glaube, auch dieser Streifen spielt in New York.
    »Miss, please! Chicken or pasta?«
    »Pasta, please.«
    Zuerst versuche ich, die Coladose so aufzureißen, dass nicht die Hälfte davon in meinen Schoß spritzt. Leider vergeblich. Die Papierserviette saugt sich mit brauner Flüssigkeit voll. Danach befreie ich die kühlschrankkalte Gabel aus ihrer Plastikhülle (gar nicht einfach, schließlich fuchtelt mir Frau Marienkäfer mit einem wuchtigen Unterarm vor der Brust herum), ziehe den Aluminiumdeckel von der Schale, in der ein paar traurige Cannelloni liegen, und steche zu. Leider bleibt die Tomatensoße auch nicht da, wo sie hingehört. Sie landet auf dem Reißverschluss meines gestreiften Sweatshirts. Ich angle nach einem Taschentuch, während meine Sitznachbarn unter vollem Ellenbogeneinsatz das Essen bezwingen. In meiner Hosentasche steckt aber nur ein Heftchen aus festem Papier. Es ist ein Kinoprogramm.

    Ich erinnere mich noch gut an den Moment, in dem ich den Prospekt eingesteckt habe. Eine automatische Bewegung, wie man eben diesen Kram mitnimmt, der in Kinofoyers liegt: Programme, Partyflyer, Kleinanzeigenblättchen. Und ich weiß noch, dass ich erst beim Zusammenfalten daran dachte, dass ich ihn nicht brauchen würde. Dass dieses Kinoprogramm im Programmkino ohne mich laufen würde.
    Es war am gleichen Abend, als ich Max zum ersten Mal von meinem Plan erzählte. Von New York.
    Er reagierte genau so, wie ich es mir gedacht hatte. Biss sich auf die Lippe, fixierte einen dunklen Fleck auf einem der Sperrmüllsofas, mit denen die Kneipe in der Nähe des Kinos möbliert war, kratzte am Etikett seiner Bio-Limonade-Flasche, nickte.
    »Wenn du meinscht«, sagte er schließlich und lächelte zaghaft. Seltsamerweise war das einer der Momente, in dem ich seine Zustimmung überhaupt nicht mochte. In dem ich mir gewünscht hätte, dass er mich geschüttelt hätte. Du willst ohne mich gehen? Vier Wochen? Kommt überhaupt nicht infrage!
    Dabei wollte ich nach New York. Sogar unbedingt. Aber ich wollte auch ein bisschen Widerstand. Ein bisschen mehr von dieser Haltung, für die mir kein besseres Wort einfiel als »Männlichkeit«.
    Auch wenn meine Freundinnen neuerdings immer von Männern sprachen, Max war für mich noch immer ein Junge. Genau wie vor zwei Jahren, als wir uns kennengelernt hatten.
    Vielleicht war das genau das Problem.
    Später, nach einer wortkargen Stunde mit Bio-Limonade und Weinschorle, liefen wir über den Münsterplatz in Richtung Kaiser-Joseph-Straße. Plötzlich fühlte ich mich wie eine Durchreisende in meiner eigenen Stadt. Das Kopfsteinpflaster, die verrammelten Marktstände mit ihren gestreiften Markisen, die Arkaden der Häuser, die Wasserspeier an der gotischen Fassade, das alles wirkte wie eine Kulisse. Es hätte mich nicht gewundert, wenn alle in ihrer Bewegung erstarrt wären: die unhöfliche italienische Kellnerin im Eiscafé, die asiatischen Touristinnen, die bei jedem Schritt mit ihren bleistiftdünnen Absätzen zwischen den mittelalterlichen Pflastersteinen hängen blieben, sogar Max neben mir.
    Ich dachte an
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