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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition)
Autoren: Verena Carl
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nix für den Islam. Prost!«
    »Ganz schön kompliziert, eure Religion«, bemerkte ein anderer.
    »Für uns nicht«, antwortete Chalil, immer noch ruhig. »Ihr habt doch auch Regeln.«
    »Nee. Ich nicht!«, röhrte einer. Die Jungs lachten.
    Ich musste mir im Stillen eingestehen, dass ich keine Ahnung hatte. Was hatten wir für Regeln? Jedenfalls keine, die mein tägliches Leben bestimmten. Bestenfalls mal Schulgottesdienst zum Schuljahresanfang und ein »so wahr mir Gott helfe!«, wenn ein Minister vorm Bundestag den Amtseid schwor. Wir lebten in einem säkularen Staat, so hieß das, wenn ich mich recht erinnerte. Sicher, wir feierten alle Weihnachten und mein Vater las vorm geschmückten Christbaum am 24. abends die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vor. Ich wusste, dass Karfreitag der Todestag von Jesus war und man an diesem Tag eigentlich kein Fleisch essen sollte und dass wir an Ostern seine Auferstehung feierten. Aber schon bei Pfingsten wäre ich ins Schwimmen gekommen, wenn ich Chalil hätte erklären sollen, was wir da feierten. Das Pfingstwunder, der wichtigste Feiertag für uns Protestanten – war das nicht irgendwas mit vielen Sprachen und … Ich hoffe, mein Relilehrer liest das jetzt nicht. Und kompliziert war eigentlich nichts. Nun ja, man sollte keinen Sex vor der Ehe haben, aber dafür kam man auch nicht mehr in die Hölle. Und die Hölle war auch eher katholisch. Ich hatte mir über all das nie richtig Gedanken gemacht.
    »Es ist doch eigentlich derselbe Gott, an den wir glauben«, behauptete ich. »Zumindest sollte er es sein.«
    Darauf erwiderte Chalil nichts. Es sagte auch niemand sonst etwas dazu. Chalil senkte den Blick und hob erneut den Kaffeebecher, um einen Schluck zu nehmen. Seine Mundwinkel zuckten leicht, schwer zu sagen, ob amüsiert oder verärgert. Er hatte sich gut im Griff. Er nahm einen zweiten Schluck und ließ den Blick aus nachtdunklen Augen über das Tannengrün und die Auslagen der Buden schweifen. Uns am nächsten stapelten sich rosafarbene und hellblaue Plüschtiere. Eine dick eingemummelte Frau stand dahinter und starrte müde ins vorbeiflanierende Volk. Chalils Blick kehrte zurück zum Tisch und … und traf mich. Ich senkte hastig die Augen. Mein Atem ging schneller, als mir lieb war. Doch ich wagte nicht, wieder aufzublicken.
    So standen wir noch eine Weile zusammen und die Gassen begannen bereits, sich zu leeren. In großen Gruppen zogen die Schweizer zu ihren Bussen ab. Die Studenten diskutierten, wohin man noch gehen konnte. Einer fragte auch Chalil, ob er noch mitkomme, aber, wie mir schien, ohne große Hoffnung.
    »Vielen Dank«, antwortete Chalil, »aber ich muss noch Besorgungen machen.« Er lächelte. »Geschenke für meine Familie kaufen.«
    »Wann fliegst du denn?«, fragte mein Vater. Er duzte Chalil, anders als dessen Kommilitonen. Immerhin hatte mein Vater drei Monate lang im Palast von Chalils Vater an den Stränden von Dubai verbracht. Und weder im Arabischen noch im Englischen, der zweiten Landessprache Dubais, gab es die Sie-Form. Ich erinnerte mich plötzlich, dass mein Vater und Jutta Chalil auch einmal zu uns nach Hause zum Essen eingeladen hatten. Ich war nur nicht da gewesen. Ich hatte irgendetwas Wichtiges mit Meike und Nele vorgehabt, an das ich mich nicht mehr erinnerte. Ich Närrin! Ich Dödel!
    »Übermorgen«, antwortete Chalil.
    Oh Gott! Übermorgen schon! Und wieder trafen sich unsere Blicke. Seiner war prüfend und wandte sich sofort wieder ab. Ich fühlte mich erröten. Hoffentlich merkte es keiner. Bei dem Licht glühten eh alle irgendwie rot. Doch bestimmt hatte Chalil trotzdem längst gemerkt, dass ich ihn anstarrte. Das wird nichts, sagte ich mir, das funktioniert nicht. Der ist nichts für dich. Schlag ihn dir aus dem Kopf. Lass ihn fliegen und Schluss. Doch würde ich ihn nicht wahrscheinlich sogar wiedersehen, wenn wir nach Dubai kamen, um meinen Vater zu besuchen. Hoffentlich! Was für ein Glück, dass wir diese Reise längst geplant hatten. Was für wunderbare Aussichten auf einmal wieder. Doch was, wenn Chalil mir dann die kalte Schulter zeigte? Ich hatte mich wirklich verknallt! Dabei kannte ich ihn erst ein paar Minuten. Ging es ihm auch so?
    Eine letzte Probe musste sein. Ich wandte mich an meinen Vater. »Fahr du schon mal heim. Ich habe vorhin nicht gefunden, was ich gesucht habe, ich muss noch mal los. Und vielleicht gehe ich dann noch bei Meike vorbei.«
    »Ist recht«, antwortete er.
    Damit musste Chalil klar sein, dass
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