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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition)
Autoren: Verena Carl
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nicht glauben, dass ich das wirklich gesagt habe.
    Ich wappne mich.
    Er sieht mir direkt in die Augen. Er lächelt. Herablassung kommt in vielen Verkleidungen, muss ich denken, ich hab es oft genug erlebt.
    »Und du...«, sagt er.
    Ich kann nicht anders, ich kneife die Augen zu, alles in mir zieht sich zusammen, bereitet sich auf den Schlag vor, der unweigerlich kommen wird.
    ». . . du hast die schönsten Augen, die ich je gesehen habe.«
    Na bitte, jetzt ist es raus, jetzt hat er . . . Was??? Ich reiße die Augen wieder auf und starre ihn ungläubig an. Aus seinem Lächeln wird ein Lachen. Ein Lachen, in dem keine Spur von Herablassung ist. Er weidet sich einfach nur daran, dass ich dreinschaue wie ein Schaf in der Geisterbahn. Und als er so loslacht, klingt er doch mehr wie ein Junge als wie ein Mann. Aber er ist eindeutig älter als ich.
    »Sag bloß, das hat dir noch nie jemand gesagt?«
    Ich fasse mich endlich so weit, dass ich wieder Worte formulieren kann. Diesmal etwas überlegter als zuvor. »Niemand außer meinem Vater. Und der ist parteiisch.«
    »Ich gebe das nicht gerne zu«, antwortet er ernsthaft, »aber ganz, ganz selten kommt es vor, dass Väter recht haben.«
    Ich kann nicht anders, ich bin immer noch misstrauisch. Ich warte immer noch, dass sein Lächeln plötzlich bösartig wird und er mich höhnisch fragt, ob ich im Ernst glaube, dass er irgendwas an so einer fetten Kuh wie mir schön findet. Letti sagt immer, ich soll mich nicht selbst eine »fette Kuh« nennen, von wegen Selbstwert und selbsterfüllende Prophezeiung. Aber bei hundertneunzehn Kilo verteilt auf einen Meter neunundsechzig, was soll mir da noch passieren, prophezeiungstechnisch?
    Ich weiß schon, was sie meint: positiv denken, auf ein schlankeres Ich »zuleben«, indem ich mir immer vor Augen halte, wie ich aussehen könnte. Und mich niemals selbst abwerten. Dabei tu ich das gar nicht. Fett ist eine Tatsache und Kuh ist keine Spur abwertend. Die Kühe, die ich kenne, haben alle in etwa ihr Idealgewicht.
    »Bist du öfter hier?«, fragt mich der unglaublich schwarze Typ mit den unglaublich weißen Zähnen und er fragt es wirklich ganz freundlich und sogar mit so was wie echtem Interesse hinter dem Plauderton.
    »Hier« ist das Wiener Museumsquartier. Ich sehe mir jede Ausstellung in der Kunsthalle und im MUMOK – dem Museum Moderner Kunst – und sogar die meisten im »Zoom«-Kindermuseum an. Und die Sammlung Leopold kenne ich auswendig.
    »Das MQ ist mein Wohnzimmer«, sage ich und beobachte fasziniert, wie sich seine vollen Lippen zu einem sehr breiten Grinsen ziehen und wieder diese weißen Strahler freigeben. Seine Augen glänzen, wenn er so lächelt. Das kräftige Kinn, die hohen Backenknochen. Ich bin ziemlich sicher, dass es das schönste Gesicht ist, in das ich je geschaut habe. Und irgendwie macht es mich stolz, dass ich ihn diesmal absichtlich zum Lächeln gebracht habe.
    »Und du?« Keine Ahnung, wie alt er ist, sicher älter als ich, aber ich habe ihn ganz automatisch geduzt und er mich auch. Wir sind im MQ, Du-Country. Uns MQ-nauten vereint die Liebe zur Kunst oder zumindest die Nähe zu ihr und wir sind alle Brüder und Schwestern, peace.
    »Ich bin auch oft hier.«
    »Im Café oder im Museum?« Meine Frage ist berechtigt. Sicher gut die Hälfte der Leute, die man so im MQ trifft, kennt zwar alle Lokale, hat aber noch nie eines der Museen von innen gesehen. Die Location ist einfach cool.
    Bei mir ist es umgekehrt. Ich bin nur selten in einem der Cafés hier, ganz einfach, weil ich meistens allein in die Ausstellungen gehe. Allein in einer Ausstellung, das ist kein Problem, man konzentriert sich ja schließlich auf das, was man sieht, hat einen Fokus. Aber allein im Café? Da hat man bloß seine Kaffeetasse oder sein Glas mit dem Cola-Zitrone und anfangs nicht mal das. Dann bleibt nur Starren und Angestarrtwerden. Starren würde ich ganz gern, ich liebe es, Leute zu beobachten. Aber angestarrt werden ist die Hölle, wenn man in einem Schwangeren-Kasack Größe XXL steckt und im Sommer schon schwitzt, wenn man sich nur die Sonnenbrille hochschiebt. Ich erspar mir das lieber.
    Er lacht schon wieder. »Sowohl als auch. Warst du schon drin oder gehst du erst?« Er meint die Erwin-Wurm-Ausstellung. Ich war schon. Das Haus auf dem Dach wollte ich mir nur zum Abschluss noch mal ansehen.
    »Ich war schon.« Komisch, wie hab ich ihn drinnen übersehen können? Ach ja, der Fokus.
    Er nickt. »Ich auch. Ich wollte mir nur zum
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