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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition)
Autoren: Verena Carl
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Abschluss das Haus noch mal ansehen.« Hab ich das nicht auch grade gesagt? Nein. Ich hab’s nur gedacht, er hat’s gesagt. Trotzdem lustig. Er wendet das Gesicht wieder hinauf, mit demselben fragenden Blick wie vorhin. Sein Deutsch ist absolut akzentfrei, Hochdeutsch mit nur einer Spur wienerischem Beiklang. Er muss hier aufgewachsen sein, aber sicher in einem ziemlich elitären Umfeld. Ich tippe auf den dreizehnten oder neunzehnten Bezirk. Wahrscheinlich Diplomatensohn oder so.
    Ich schaue ebenfalls zum Dach. Das Haus sieht aus, als wäre es vom Himmel gefallen und kopfüber ins MUMOK gekracht. Ich habe irgendwo gelesen, dass der Künstler die hässlichen Fertig-Einfamilienhäuser, die überall aus dem Boden sprießen, als bedrohlich empfindet. Ein Angriff auf die Kunst, der hier symbolisiert wird. Das Haus als bösartiges Geschoss, das auf ein Museum abgefeuert wurde. Das Haus ist tatsächlich hässlich, der Prototyp des Billighauses. Das allergewöhnlichste »Dach über dem Kopf« von der Stange. Ich frage mich, ob es eingerichtet ist, ob auch das passende Ecksofa drinsteht, hellgrün gemustert, mit dem mahagonifurnierten Couchtisch davor, auf dem die Fernsehzeitung liegt, vis-à-vis der eingebaute Wandschrank, ebenfalls Mahagonifurnier, mit dem Fernseher. Dort läuft Fußball oder »Der Landarzt«. Kleinbürgers Traum. Und eigentlich gar nicht sooo weit vom Geschmack meiner Mutter entfernt. Zum Glück ist sie beeinflussbar.
    »Ich frage mich, ob es eingerichtet ist«, sagt er.
    Ich schau ihn verblüfft an. Fragt sich das jeder, der da hinaufschaut?
    »Auf jeden Fall wüsste ich, wie es eingerichtet sein müsste.«
    »Ach ja?« Jetzt bin ich echt gespannt.
    »Na hör mal.« Er lacht wieder. »Dieses Haus? Sitzgruppe mit Fernsehsessel, so einer, bei dem man das Fußteil höher stellen kann. Couchtisch, Einbauschrank mit Vitrinen, Fernseher.«
    Ich starre ihn ungläubig an. Genau das, was ich grade gedacht hab. Nur den Fernsehsessel hab ich vergessen, dafür war ich schon beim Programmheft. Direkt unheimlich. »Und die Küche?«, frage ich.
    »Hm.« Er überlegt. »Hellbraun-gelb gemusterte Bodenfliesen. Arbeitsfläche aus Kunststoff mit dieser Pseudo-Marmormaserung. Ein Häkeldeckchen auf dem Fensterbrett, darauf eine Vase mit orangefarbenen Stoffblumen.«
    Er hat recht. Er hat absolut recht. Womit ich natürlich meine, dass er dieselben Bilder sieht wie ich. »Weiße Kunststoff-Küchenschränke, lindgrüne Wandfliesen«, füge ich hinzu.
    »Genau«, meint er zufrieden. »Und das WC . . .«
    »Das ist dunkelgrün gefliest«, unterbreche ich ihn, »und das Klo hat eine dieser braunen Holzklobrillen . . .«
    »Und der Deckel einen giftgrünen Plüschbezug«, fällt er ein. »Und so einen Vorleger mit dem halbkreisförmigen Loch.«
    »Und die Reserveklopapierrollen stecken auf einer Holzstange, die ein lustiger kleiner Keramikelefant festhält.«
    »Passend zu dem anderen lustigen kleinen Keramikelefanten, der mit wissendem Blick die Klobürste versteckt!«
    »Exakt!«
    Wir müssen beide lachen.
    Er sieht mich an. »Hast du Zeit für einen Kaffee?«, fragt er dann.
    »Ich . . . na ja . . .« Warum will er mit mir Kaffee trinken?
    Und warum nicht, fragt eine kleine Stimme in mir drin. Warum kann es denn nicht sein, dass er die Unterhaltung eben genauso witzig gefunden hat wie du?
    »Ich bin ziemlich ungefährlich«, fügt er hinzu und hebt wie zum Beweis die Hände, dreht die verblüffend hellen, offenen Handflächen hin und her. »Ich handle nicht mit Drogen, stehle keine Handtaschen und meine Voodoo-Fähigkeiten sind auch begrenzt.«
    »Nein, nein«, sage ich hastig, »es ist nicht, weil du schwarz bist . . .« Verdammt, jetzt hab ich schon wieder so was Blödes gesagt.
    Aber sein Lächeln wird sogar noch eine Spur breiter. »Sondern?«
    Sondern weil ich so dick bin, würde ich am liebsten sagen. Weil sich jeder, der uns sieht, fragen wird, warum du dich mit mir abgibst. »Kein Sondern«, sage ich stattdessen. »Ich hab noch Zeit.« Ich muss nur irgendwann unauffällig meine Mutter anrufen, dass ich später komme. Am besten verzieh ich mich dazu auf die Toilette. Keine Lust auf Fragen, warum ich mit achtzehn noch über jeden Schritt Mama und Papa informieren muss. Aber was soll’s – sie machen sich nun mal Sorgen. Späte Eltern, Einzelkind und so weiter.
    »In welches Kaffeehaus gehst du am liebsten?«
    Ich zucke nur mit den Schultern. Schließlich kann ich schlecht zugeben, dass ich in meinem Wohnzimmer so gut
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