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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition)
Autoren: Verena Carl
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Taschendiebe, osteuropäische Diebesbanden und was sie tun würden, wenn sie so ein Bürschchen schnappen würden. Nämlich ihm so Bescheid stoßen, dass er diese Saison nicht mehr klauen würde.
    »Die müssen doch auch leben!«, hörte ich mich sagen.
    »Aber nicht aus meinem Geldbeutel«, sagte Boris, der mir den Wein gebracht hatte. Boris studierte schon eine Weile bei meinem Vater und war letztes Jahr auch dabei gewesen.
    Später unterhielt man sich über Dubai und die künstlichen Inselwelten, welche die Scheichs im Meer anlegten. Eine sah aus wie eine Palme, die andere hieß The World und stellte das Abbild einer Weltkarte mit ihren Kontinenten dar.
    »Aber das meiste ist gestoppt worden wegen der Wirtschaftskrise«, bemerkte Boris. »Den Scheichs ist das Geld ausgegangen. Werden Sie denn dort jetzt überhaupt noch gebraucht, Professor?«
    »Aber sicher!«, antwortete mein Vater. »Wenn den Scheichs das Öl ausgeht, dann wollen sie Weltmarktführer in Solartechnik sein. Und der Flughafen in der Wüste vor der Stadt wird auch weitergebaut.«
    Für diesen gigantischen Flughafen von Dubai hatte das Institut meines Vaters ein Lichtkonzept und ein Konzept für eine Klimaanlage entwickelt, die nur mithilfe der Sonne und raffinierter Belüftung funktionierte. Mein Vater war Anfang des Jahres für drei Monate in Dubai gewesen und in wenigen Tagen würde er erneut für einige Monate hinfliegen.
    Jutta und ich würden ihn über Weihnachten besuchen. Das Hotel war gebucht, einschließlich Wüstentour und Übernachtung im Beduinenzelt. Noch vor einer Stunde hatte mich die Aussicht, Weihnachten in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu verbringen, mit Vorfreude erfüllt: Wüste, Wärme, Meer, eine Glitzerwelt aus Hochhäusern, Kamele, Araberpferde, Männer in langen weißen Hemden, Bauchtänzerinnen. Aber das interessierte mich alles jetzt gar nicht mehr. Wie ein Schwarm von Sternschnuppen fielen feuchte Schneeflocken durch den Lichtschein der Laterne auf uns herab. Kurz leuchteten sie auf, ehe sie verloschen. Sie waren dazu verdammt, zertreten zu werden oder sich in den schmutzigen Winkeln zu vereinen, und würden doch auch dort bald geschmolzen und vergangen sein.
    Nein, so durfte der Tag nicht enden! Wenn mir der Fremde schon nicht aus dem Kopf gehen wollte, musste ich ihn suchen. So groß war der Weihnachtsmarkt auch wieder nicht. Und wenn es sein sollte, dann würde ich ihn wiederfinden.
    »Du«, sagte ich zu meinem Vater, »ich muss noch mal schnell was besorgen. In einer halben Stunde bin ich wieder da.«
    Mein Vater nickte lächelnd. »Weißt ja, wo du uns findest.« Vermutlich dachte er, ich wollte ihm ein Paar Wollsocken oder einen Brustbeutel für die Reise kaufen.
    Ich lief los. Wohin hatte er sich vorhin gewandt? Wenn er den Weihnachtsmarkt Richtung Markthalle und Karlsplatz verlassen hatte, dann hatte ich keine Chance mehr. Aber wenn er seinen Weg über den Schillerplatz fortgesetzt hatte, würde ich ihn zwischen den Ständen finden. Denn ein Weihnachtsmarktbesucher schlenderte langsam. Ich dagegen rannte fast, vorbei an der Maronenrösterei, an der Bude mit den Erzgebirgsengelchen und der Pyramide bis vor zu den Fischbratereien am Schlossplatz. Auch dort befanden sich Stände mit Fressalien, seitdem jeden Winter die Eisbahn aufgestellt wurde. Ich huschte im Zickzack durch Leute, die in Crêpes bissen und auf wabbeligen Plastiktellern Schupfnudeln mit Sauerkraut oder Maultaschen zu den Mülleimertischen balancierten. Es dampfte und duftete überall. Plötzlich fragte ich mich, was ich hier eigentlich tat. Was, wenn ich ihn wirklich fand? Was wollte ich denn sagen? »Ach, so ein Zufall aber auch. Tja, man trifft sich immer zweimal im Leben.« Und dann mein schönstes Mädchenlächeln aufsetzen, womit ich meinen Vater immer rumkriegte, damit er sagte: »Meinetwegen, Spätzelchen.« Kokettieren, damit der Mann vom andern Stern kapierte, dass er jetzt etwas vorschlagen musste: »Darf ich Sie zu einem Glas Glühwein einladen?« Aber vielleicht wollte er das gar nicht. Am Ende interessierte er sich gar nicht für mich, Finja Friedmann, die sechzehnjährige Gymnasiastin, die ihm hinterherlief und ihn atemlos anhimmelte.
    Während ich zwischen den Buden das Schillerdenkmal umrundete, ging ich mit mir ins Gericht. Was war ich schon? Die Tochter eines Professors, überdurchschnittlich gut in der Schule, blond und blauäugig und halbwegs hübsch. Jetzt bereute ich, dass ich mir meine lange blonde Mähne im Sommer hatte
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