Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Himmel schweigt

Der Himmel schweigt

Titel: Der Himmel schweigt
Autoren: Martin Delrio
Vom Netzwerk:
stapfte eine riesige anthropomorphe Gestalt um die Ecke. Ein gewaltiger Arm holte aus und schlug die Hausfenster im zweiten Stock ein: ein Don- nerkeil-BattleMech. Jetzt hatte er überhaupt keine Chance mehr, die andere Seite des Boulevards zu erreichen.
    In seiner Verzweiflung lief er einen Häuserblock zurück zu einem U-Bahn-Eingang und rannte die Treppe hinab ins Dunkel. Unten hielt er kurz an, damit sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnten. Wie erhofft brannte das batteriebetriebene Notlicht und tauchte den Tunnel in ein gespenstisches rotes Licht. Weder sah er irgendwo Capellaner noch Verteidiger. Falls die Züge nicht mehr fuhren, konnte er eine, nein, zwei Stationen den Tunnel hinauflaufen und dann durch die Kellerhalle des Verwaltungszentrums zurück an die Oberfläche, um auf der anderen Straßenseite seinen Weg fortzusetzen.
    Bitte , dachte er, mach, dass sie rechtzeitig geflohen sind!
    Er ließ sich vom Bahnsteig auf die Gleise hinunter und achtete darauf, die stromführende Schiene in der Mitte nicht zu berühren, für den Fall, dass die Elektrizität plötzlich zurückkehrte. So wollte er nicht enden, nicht durch einen dummen Unfall, nicht, während seine Heimatstadt, seine ganze Heimatwelt niedergemacht wurde. Hier unten bekam er kaum Luft. Der Gestank von Chemikalien und der stinkende Qualm hingen dicht und schwer im Tunnel. Wenigstens vibrierte das Gleis unter seinen Füßen nicht. Wie er gehofft hatte, waren alle Züge ausgefallen.
    Er trottete den Tunnel entlang, von einem schummrigen roten Lichtfleck zum nächsten. Vor ihm öffnete sich eine Haltestelle. Der erste Halt. Er marschierte weiter durch die Dunkelheit. An der zweiten Station stemmte er sich auf den Bahnsteig und spürte kaum den Schmerz, als er sich das Knie an der Kante anschlug. Er stieg die erstarrten Stufen einer Rolltreppe hoch in die weite Kellerhalle des Verwaltungszentrums.
    An einem gewöhnlichen Tag strömten Tausende Menschen durch die riesige Halle, die für einige hundert Personen ausgelegt war. Heute hatten die Kämpfe auch hier ihre Spuren hinterlassen und die Kioske und Läden verwüstet. Die Halle war leer. Nein, doch nicht ganz leer. Auf dem Weg außen um die runde Halle sah er, wie sich ein halbes Dutzend Menschen im Innern der Überreste eines Cafés ängstlich aneinander drängte. Nach der Kleidung zu schließen waren es Büroangestellte. Mindestens eine von ihnen war ernsthaft verletzt, eine Frau in einem Geschäftsanzug, die halb auf dem Schoß einer älteren, gesetzteren Frau lag, die den Eindruck einer Sekretärin machte. Die Kleidung beider Frauen war blutgetränkt.
    Er wäre weitergelaufen, ganz auf seine selbst gewählte Mission konzentriert, hätte sich ein junger Mann in der Uniform eines Caféangestellten nicht aufgerappelt und wäre auf ihn zugekommen. Hier war tatsächlich jemand, der an seinem Posten geblieben war. Eine bewundernswerte Loyalität, verschwendet an »Sahne, kein Zucker«, »Ein doppelter Espresso« und »Tut mir Leid, das ist alles.«
    Der Angestellte fragte ihn: »Kann man schon wieder nach draußen gehen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Es wird überall geschossen.«
    »Bitte«, sagte die Sekretärin. Sie schaute auf die Frau auf ihrem Schoß. »Sie liegt im Sterben. Bitte, können Sie Hilfe rufen oder jemanden schicken oder ...«
    »Nein«, antwortete er. »Ich glaube nicht, dass noch jemand da ist, der kommen würde.«
    Ein anderer Kunde meldete sich, ein Geschäftsmann, grau meliertes Haar und ein Maßanzug voller Dreck und Blut. »Wissen Sie, ob es stimmt, was in den Nachrichten kam, bevor der Strom ausfiel? Dass wir verraten wurden?«
    Er fühlte die bittere Wut wie eine giftige Quelle in sich hochsprudeln. Er hätte es nicht für möglich gehalten, so hassen zu können. »Verraten«, wiederholte er. »Ja, das ist das richtige Wort.«
    Die Augen der Sekretärin wurden kalt. »Ich hoffe, er brennt dafür.«
    »Ja«, bestätigte er noch einmal, und plötzlich wurde ihm schwindlig. Die schlechte Luft hier unter der Oberfläche, sagte er sich benommen. Jemand drückte ihm etwas Kaltes in die Hand. Als er wieder klar wurde, sah er, dass es der junge Mann in der Cafeuniform mit einer gekühlten Flasche Mineralwasser war.
    »Hier. Trinken Sie und schütten Sie sich den Rest über den Kopf. Wir haben reichlich davon, und ich glaube kaum, dass der Geschäftsführer morgen kommt, um nachzuprüfen, ob auch noch alles da ist.«
    Das Wasser war ein Genuss. Es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher