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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter
Autoren: Oliver Pötzsch
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Abenddämmerung sein Pferd zu suchen, das samt Gepäck davongaloppiert war.
    Simon spürte eine leise Genugtuung, als er ihn laut brüllend durch den Wald hasten sah.
    Hoffentlich ist die Mähre samt der dicken Geldbörse durchgegangen , dachte er. Wenn der fette Sack noch einmal vom Sattel aus ein Halleluja anstimmt, begeh ich eine Todsünde .
    Schnell verdrängte Simon diesen Gedanken, der einer Pilgerreise nicht würdig war. Er verfluchte sich leise, dass er keinen wärmeren Mantel mitgenommen hatte. Das neue grüne Wollcape vom Augsburger Stoffmarkt sah zwar schmuck aus, allerdings hing es nun nach dem Regen wie ein labbriges Tuch an ihm.
    »Man möchte fast glauben, Gott hätte was dagegen, dass wir dem Kloster heute noch einen Besuch abstatten.«
    Simon Fronwieser drehte sich zu Magdalena um, die das Gesicht gen Himmel gerichtet hatte und sich den Regen über die schlammbespritzten Wangen rinnen ließ.
    »Gewitter sind in dieser Jahreszeit ziemlich häufig«, erwiderte er betont beiläufig und bemühte sich, wieder einigermaßen gefasst zu klingen. »Ich glaube nicht, dass …«
    »Ein Zeichen ist’s!«, erklang von rechts eine zitternde Stimme. Es war Sebastian Semer, der Sohn des Bürgermeisters, der die Finger seiner rechten Hand in einer Schutzgeste vor sich hielt. »Ich habe gleich gesagt, dass wir das Weib zu Hause lassen sollen.« Er deutete auf Magdalena und Simon. »Wer eine Henkerstochter und einen dreckigen Bader auf eine Pilgerreise zum Heiligen Berg mitnimmt, der kann auch gleich den Beelzebub einladen. Der Blitz ist ein Zeichen Gottes, der uns mahnt, Buße zu tun und …«
    »Halt deine freche Gosch’n, Semer-Bub!«, zischte Magdalena und blitzte den Jüngling aus schmalen Augen an. »Was weißt du denn schon vom Büßen, hä? Wisch dir lieber deine Hosen ab, bevor die anderen merken, dass du dich vor Angst angepieselt hast.«
    Verschämt glotzte Sebastian Semer auf den dunklen Fleck vorne an seiner weit geschnittenen purpurroten Rheingrafenhose. Dann wandte er sich schweigend ab, nicht ohne Magdalena ein letztes Mal mit einem bösen Blick zu strafen.
    »Hört nicht auf ihn. Der kleine Filou ist nichts weiter als ein verwöhnter Zögling seines Vaters.«
    Aus der Dunkelheit des Waldes trat nun Jakob Schreevogl hervor. Der Patrizier trug ein enges Wams, hohe Lederstiefel und einen weißen Spitzenkragen, der ein markantes Gesicht mit Knebelbart und Hakennase einrahmte. Der Regen lief in einem feinen Rinnsal von seinem Zier­degen herab.
    »Im Übrigen gebe ich Euch recht, Fronwieser.« Schreevogl wandte sich an Simon und deutete zum Himmel. »Im Juni sind solche heftigen Gewitter nichts Ungewöhn­liches. Doch wenn die Blitze direkt neben einem einschlagen, glaubt man den Zorn Gottes zu spüren.«
    »Oder den Zorn seiner Mitmenschen«, fügte Simon düster hinzu.
    Fast vier Sommer war die Hochzeit mit Magdalena nun her, und in der ganzen Zeit hatten nicht wenige Schongauer Bürger Simon spüren lassen, was sie von dieser Ehe hielten. Als Tochter des Scharfrichters Jakob Kuisl war Magdalena eine Ehrlose, der man tunlichst aus dem Weg ging.
    Simon nestelte an seinem Gürtel und überprüfte, ob der Sack mit Heilkräutern und medizinischen Instrumenten noch daran befestigt war. Gut möglich, dass er ein paar seiner Arzneien auch während dieser Wallfahrt brauchen würde. Die Schongauer hatten seine Hilfe in den letzten Jahren ziemlich oft in Anspruch genommen. Zwar spukte der Große Krieg nur noch in den Köpfen der Alten, doch die Pest und andere Seuchen waren in den letzten Jahren immer wieder über Schongau gekommen. Im letzten Winter hatte es auch Simons und Magdalenas Söhne getroffen. Aber der Herrgott hatte ein Einsehen gehabt und die beiden Kleinen genesen lassen. In den Tagen danach betete Magdalena viele Rosenkränze und überredete Simon schließlich, mit ihr nach Pfingsten eine Pilgerreise zum Heiligen Berg anzutreten – gemeinsam mit knapp zwei Dutzend anderer Schongauer und Altenstadter Bürger, die auf dem berühmten Dreihostienfest dem Herrgott ihre Dankbarkeit erweisen wollten. Die beiden Kinder hatten Simon und Magdalena in der Obhut der Großeltern zurückgelassen. Eine weise Entscheidung, wie sich der Medicus nach den Vorfällen der letzten Stunde einmal mehr eingestehen musste.
    »Sieht so aus, als würde der Regen das Feuer endgültig löschen.« Jakob Schreevogl deutete auf die zerborstene Buche, aus der nur noch wenige Flammen züngelten. »Wir sollten weitergehen. Bis
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