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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter
Autoren: Oliver Pötzsch
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kommen aus Schongau«, mischte sich Simon ein, der mit Magdalena dicht hinter dem Mönch lief. Das Wams des jungen Medicus starrte vor Dreck, die roten Hahnenfedern auf seinem neuen Hut waren umgeknickt, und die Lederstiefel aus Augsburg brauchten vermutlich frische Sohlen. »Seit zwei Tagen sind wir unterwegs«, fuhr er müde fort. »Schon gestern bei Wessobrunn haben wir ein Rudel Wölfe heulen hören, aber sie haben nicht gewagt, uns anzugreifen.«
    Frater Johannes schnaufte, während er den steilen Steig durch den Wald hinaufschritt. Die Laterne an seiner Hand baumelte hin und her wie ein huschendes Irrlicht. »Dann habt ihr großes Glück gehabt«, brummte er. »Die Bestien werden immer frecher. Hier in der Gegend haben sie schon zwei Kinder und ein Weib gerissen. Und dann plagen uns noch die vermaledeiten Vaganten und Mordbanden.« Er schlug ein hastiges Kreuz. » Deus nos protegat! Der Herr schütze uns in diesen dunklen Zeiten.«
    Mittlerweile hatte sich der Wald gelichtet. Vor den Schongauern leuchteten warm und heimelig die Fenster des kleinen Dorfes Erling, das direkt unterhalb des Heiligen Berges auf einer Hochebene lag. Simon atmete erleichtert auf und drückte Magdalenas Hand. Sie hatten ihr Ziel unbeschadet erreicht – eine Gnade, die in diesen Zeiten nicht jedem zuteilwurde. Inständig hoffte er, dass es ihren beiden Kindern Peter und Paul in Schongau gut erging. Angesichts der überbordenden Liebe der Großeltern hatte er daran aber eigentlich keine Zweifel.
    »Ich hoffe, ihr habt alle ein Quartier«, brummte Frater Johannes. »Ist keine Freude, in diesen klammen Juninächten draußen auf dem Feld zu schlafen.«
    »Wir Schongauer Ratsherren kommen im Gästehaus des Klosters unter«, erwiderte Bürgermeister Semer kühl und deutete auf seinen Sohn und den Patrizier Jakob Schreevogl. »Die anderen werden wie vereinbart von den Bauern der Gegend verköstigt. Schließlich ist unsere Reise auch zum Nutzen der Gemeinde, nicht wahr?«
    Frater Johannes lachte leise, und sein ohnehin schiefes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Erneut fiel Simon auf, wie hässlich er war.
    »Wenn Ihr die Reparatur des Kirchturms meint, da muss ich Euch enttäuschen«, erwiderte der Mönch. »Den Bauern geht der Zustand des Klosters am nackten Arsch vorbei. Aber der Abt hat Brot und Fleisch all jenen Erlingern versprochen, die einen hilfsbereiten Maurer oder Zimmermann aufnehmen. Es soll also euer Schaden nicht sein.«
    Semer nickte zufrieden und tätschelte den Hals seines Pferdes. »Der Herr sei gelobt!«, tönte er. »Auf mein Wort – wenn der Heiland uns gutes Wetter schickt, wird die Kirche schon bald fertig sein.«
    Tatsächlich fand das Dreihostienfest, das zu den größten Wallfahrten Bayerns gehörte, erst in gut einer Woche statt. Doch Abt Maurus Rambeck hatte die Pilger der umliegenden Dörfer mittels Boten gebeten, schon früher zum Heiligen Berg zu kommen. Gut einen Monat war es nun her, dass der Blitz in den Kirchturm des Klosters eingeschlagen hatte. Der gesamte Dachstuhl war ausgebrannt, ein großer Teil des südlichen Kirchenschiffs zerstört. Damit das Wallfahrtsfest wie geplant stattfinden konnte, war die Hilfe vieler starker Arme vonnöten. Der Abt hatte den Handwerkern aus der Gegend deshalb Ablass für ein Jahr und außerdem einen guten Lohn versprochen. Ein Angebot, das nicht wenige hungrige Männer aus dem Umland nur allzu gern annahmen. Aus Schongau waren neben den üblichen Pilgern vier Maurer und ein Zimmermann gekommen, in Wessobrunn hatten sich dann noch drei Stuckateure ihrer Gruppe angeschlossen.
    »Ich selbst bin wegen … äh, dringender Geschäfte hier«, ließ sich Karl Semer nun vernehmen. »Aber ich bin mir si cher, dass diese fromme Schar –«, er deutete auf den schmutzi gen Haufen Schongauer, der gerade ein altes Kirchenlied anstimmte, »– nur allzu gern bereit ist, Euch bei den Bauarbeiten zu unterstützen.«
    In den Häusern von Erling waren einige Fenster und ­Türen aufgegangen, argwöhnisch starrten die Dorfbewohner die Pilgergruppe an. Ein paar Hunde kläfften. Zu oft hatten Fremde in den letzten Jahrzehnten Tod und Verderben in den Ort gebracht, als dass man sie mit offenen Armen empfangen hätte. Aber wenigstens wurden die Erlinger für die lästigen Gäste diesmal reichlich entschädigt.
    »Was ist das für ein Licht dort oben?«, fragte Magdalena unvermittelt und deutete auf das Kloster, das wie eine dunkle Raubritterburg über dem Dorf thronte.
    »Ein Licht?«
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