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Der Hexer - NR32 - Der Koloss von New York

Der Hexer - NR32 - Der Koloss von New York

Titel: Der Hexer - NR32 - Der Koloss von New York
Autoren: Verschiedene
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auch nicht unbedingt verwunderlich war. Nach allem, was ich erlebt und durchgemacht hatte, hatte sich mein Bewußtsein eine kleine Depression verdient. Auch der Geist braucht manchmal Phasen, in denen er ausspannen kann. Vielleicht war die Mischung aus Niedergeschlagenheit und Aggressivität, mit der ich meine Umwelt seit gut anderthalb Wochen ungewollt terrorisierte, nichts anderes als ein seelischer Muskelkater.
    Wir schrieben den 24. Juni 1886, und ich hielt mich somit schon annähernd zwei Wochen in New York auf, aber ich war mir, als ich vor dreizehn Tagen aus dem Zug stieg, nicht unbedingt wie der Sieger vorgekommen, der ich war. Sicher – ich hatte eine Schlacht gewonnen und meinen Erzfeind vernichtet – einen meiner Erzfeinde, um genau zu sein, denn an Menschen, die mir die Pest an den Hals wünschten, hatte ich wahrlich keinen Mangel – aber der Preis, den ich dafür bezahlt hatte, war einfach zu hoch. Nein, ich hatte wahrlich keinen Grund, zu triumphieren.
    Der einzige Lichtblick in der finsteren Nacht aus Beinahe-Katastrophen und so-eben-noch-mal-gutgegangen-Seufzern war die kleine Karte, die mir der Page vor Stundenfrist auf einem Silbertablett gebracht hatte. Sie enthielt nur 4 Worte: Erwarte mich um drei! und eine Unterschrift, die noch unleserlicher war als gewohnt – aber ich wußte trotzdem sofort, wer der Absender war. Der Gestank von verbranntem Virginia-Tabak, der der Karte angehaftet hatte, war einfach unverkennbar. Der Schreiber konnte einfach kein anderer sein als Howard.
    Nicht, daß mich die Karte überrascht hätte – letztendlich war ich hierhergekommen, um ihn zu treffen. Aber ich hatte in den letzten vierzehn Tagen vergeblich nach ihm gesucht und die Hoffnung, ihn und seinen poltrigen Leibdienerfreundkochkutscherrausschmeißer Rowlf noch einmal wiederzusehen, war mit jedem Tag, der verging, weiter gesunken. Genaugenommen hätte es mich nicht einmal mehr sonderlich überrascht, wenn ich Howard niemals wiedergesehen hätte. Trotz meines scheinbaren Sieges hatte ich in den letzten Wochen und Monaten das Pech gepachtet. Und jeder, der irgendwie mit mir zu tun hatte, auch.
    Ich schüttelte die finsteren Gedanken mit Macht ab, trat endlich vom Fenster zurück und blickte noch einmal auf die Standuhr, die eine Ecke meiner Suite zierte. Ich hatte noch Zeit, eine gute halbe Stunde, aber wenn ich noch länger hier in diesem Zimmer blieb, würde mir die Decke auf den Kopf fallen. So beschloß ich, hinunter in die Halle zu gehen und dort auf Howard und Rowlf zu warten; jedoch nicht, ohne vorher noch einmal einen Blick ins Nebenzimmer zu werfen.
    Was ich sah, war dasselbe, was ich immer gesehen hatte, wenn ich in den letzten dreizehn Tagen diese Tür geöffnet und in den abgedunkelten Raum geblickt hatte; den schwachen Schimmer einer abgedeckten Gaslampe, ein sehr breites, mit kostbaren Seidendecken bezogenes Bett, und darin ein sehr schmales, grau und krank aussehendes Mädchengesicht.
    Priscylla schlief. Sie schlief jetzt fast immer. Mit unserem Eintreffen in New York schienen ihre Kräfte endgültig erschöpft zu sein. Sie lag da und schlief, öffnete nur manchmal die Augen – ohne jedoch irgend etwas von ihrer Umgebung wahrzunehmen oder wenigstens darauf zu reagieren – und das war alles. Das Buch lag neben ihr. Trotz aller Anstrengung war es mir nicht gelungen, das unheilige Band zu durchtrennen, das ihren Geist mit den Mächten dieses verfluchten Buches verband. Aber zumindest war sie nicht mehr gefährlich. Wenigstens redete ich mir das ein. Mrs. Peddigrew, die Krankenschwester, die ich engagiert hatte, blickte kurz von der Lektüre ihres Buches auf und lächelte pflichtschuldig, als sie mich erkannte. »Alles in Ordnung, Mr. Craven«, sagte sie im Flüsterton. »Sie schläft.«
    Welch originelle Feststellung, dachte ich ärgerlich. Trotzdem rang ich mir ein flüchtiges Nicken ab. »Gut. Ich... bin für ein paar Stunden unten in der Halle zu erreichen. Schicken Sie einen Pagen, wenn sich irgend etwas verändert.«
    Mrs. Peddigrews Gesichtsausdruck sagte mir sehr deutlich, was um alles in der Welt sich wohl bei einer vollkommen Geistesgestörten ändern sollte, die seit zwei Wochen in ihrem Bett lag und gefüttert und saubergehalten werden mußte wie ein kleines Kind. Aber sie sagte trotzdem: »Selbstverständlich, Mr. Craven. Ich werde aufpassen.« Bei dem Gehalt, das ich ihr für ihre Dienste zahlte, hätte ich ihr das auch geraten. Und bei dem kleinen Vermögen, das ich noch
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