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Der Hexer - NR32 - Der Koloss von New York

Der Hexer - NR32 - Der Koloss von New York

Titel: Der Hexer - NR32 - Der Koloss von New York
Autoren: Verschiedene
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nur noch ein blasser Schimmer übrig war, den drinnen im Schuppen garantiert niemand mehr sehen würde, und näherte sich auf Zehenspitzen der Tür. Wieder blieb er einen Moment stehen und lauschte gebannt, aber er hörte nichts, und so schob er die Tür vorsichtig auf, huschte in den Schuppen und mit einer für einen Mann seines Alters erstaunlichen Behendigkeit in die Deckung eines Kistenstapels.
    Der Stapel war nicht der einzige. Der Schuppen hatte von außen klein ausgesehen, aber sein Inneres offenbarte sich als gigantischer Dom aus Holz, der schier bis zum Bersten mit Kisten und Ballen und Fässern vollgestopft war; in zwanzig Jahren war es O’Connelly nicht gelungen, eine zufriedenstellende Erklärung dafür zu finden, wie um alles in der Welt die Männer, die hier arbeiteten, die Übersicht in diesem Chaos behielten. Im Moment interessierte ihn diese Frage aber auch nicht sonderlich.
    Seine ganze Aufmerksamkeit galt der Gestalt, die sich als verwaschener Schemen vor dem Hintergrund eines gewaltigen Segeltuchballens abzeichnete. Sie war nicht einmal sehr weit entfernt – zwanzig, fünfundzwanzig Schritte vielleicht, der halbe Durchmesser des Schuppens – aber es war so dunkel hier drinnen, daß er sie eigentlich nur an ihrer Bewegung erkannte.
    Und etwas an diesen Bewegungen war falsch.
    O’Connelly konnte das Gefühl nicht in Worte kleiden, aber ganz plötzlich spürte er eine sonderbare Art von Beunruhigung, beinahe schon Furcht, die er noch nie zuvor im Leben kennengelernt hatte. Einfach, weil die Bewegungen der Gestalt nicht stimmten. Sie waren sehr schnell, dabei aber unglaublich ruckhaft und auf schwer zu bestimmende Weise hart; fast... ja, dachte O’Connelly schaudernd, fast wie die eines menschengroßen Insektes.
    Er verscheuchte den Gedanken, richtete sich vorsichtig hinter seiner improvisierten Deckung auf und versuchte, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen. Seine Augen gewöhnten sich langsam an das sehr schwache Licht, das nur durch ein paar Ritzen im Dach und zwei staubverkrustete Fenster in der gegenüberliegenden Wand hereinfiel. Soweit er erkennen konnte, war die Gestalt dort vorne allein.
    Sie bewegte sich, wie sich ein Mensch – oder eben kein Mensch – bewegen mochte, der unruhig auf der Stelle trat und vielleicht auf jemanden wartete. Möglicherweise, flüsterte eine kleine böse Stimme in O’Connellys Gedanken, auf jemanden, der gleich durch die Tür kommen mußte und ihm eins überbriet. Oder auf eine ganze Menge Jemander...
    Auch diesen Gedanken dachte O’Connelly vorsichtshalber nicht zu Ende. Aber er begriff immerhin, daß er nicht mehr viel Zeit hatte, irgend etwas zu unternehmen.
    O’Connelly zog seinen Totschläger aus der Tasche, versuchte sich die Stelle einzuprägen, an der die sonderbare Nicht-Gestalt stand, und huschte in seitlicher Richtung davon. Das Chaos, das in dem Lagerhaus herrschte, war nur ein scheinbares. Zwischen den Warenstapeln gab es zahllose Gänge und Wege, die tagsüber die Arbeiter hier benutzten. Jetzt dienten sie O’Connelly dafür, den Eindringling in weitem Bogen zu umgehen und sich ihm aus einer Richtung zu nähern, aus der er sicherlich keinen Besuch erwartete.
    O’Connelly pirschte sich nahezu lautlos an die Gestalt heran. Sein Herz begann vor Aufregung zu rasen, als er den Schatten wieder vor sich sah, sehr viel näher diesmal, aber sonderbarerweise noch immer so undeutlich wie bisher, obwohl ihn nur noch wenige Schritte von ihm trennten. Aber er war jetzt eindeutig zu weit gegangen, um noch einen Rückzieher machen zu können. So tat er so ziemlich das Dümmste, was ein siebzigjähriger Mann mit Gicht und einem schwachen Herzen in dieser Situation überhaupt tun konnte – er hob seinen Lederbeutel, sprang mit einem Satz aus seiner Deckung und rief ein lautschallendes: »Halt!«
    Die Gestalt reagierte ganz anders, als er erwartet hatte. Sie schrak nicht zusammen, fuhr nicht herum oder zauberte gar eine Waffe hervor – mit alledem hätte O’Connelly gerechnet, und auf alldies hätte er ausgezeichnet reagiert, wenn auch immer auf die gleiche Art: mit einem deftigen Hieb seines Totschlägers. Aber statt zu erschrecken, drehte sich die Gestalt ganz gemächlich herum, blickte einen Moment aus unsichtbaren Augen in O’Connellys Richtung und trat dann auf ihn zu; allerdings sehr langsam.
    »Stehenbleiben!« befahl O’Connelly noch einmal. »Zum Teufel, Bursche, wenn du noch einen Schritt machst, schlag’ ich dir die Nase bis an den
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