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Der Hexenschwur: Roman (German Edition)

Der Hexenschwur: Roman (German Edition)

Titel: Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
Autoren: Deana Zinßmeister
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Verurteilten um Hals und Hände gebunden war, zog der Henkersknecht eine Frau durch den Gang aus Gaffern. Einige der Schaulustigen spien ihr vor die Füße, während andere sie beschimpften oder den Blick angewidert von ihr abwendeten. Das faulige Gemüse, das nach der Verurteilten geworfen wurde, traf sie an Kopf und Rücken. Wehrlos blieb sie stehen und fixierte mit ihren kleinen Augen den Werfer, der das nächste Wurfgeschoss bereits in die Höhe hielt.
    »Ich habe dir auf diese Welt geholfen, dich als Erste in den Armen gehalten und umsorgt, und jetzt willst du mir Schmerz zufügen?«, zischte die Frau ihn an. »Haben deine Eltern dir keinen Anstand beigebracht, Michel Betzler?«
    Das Gesicht des Jungen rötete sich, und er ließ die Hand mit dem Kohlkopf sinken.
    Die Frau strauchelte, als der Henker mit heftigem Ruck am Strick zog. Als sie nach vorn stolperte, hob der Bursche seinen Arm und warf ihr das Gemüse mit voller Wucht an den Hinterkopf, sodass sie aufjaulte. Die Meute lachte, und der Henkersgehilfe stieß die Verurteilte ungerührt in Richtung Richtplatz.
    »Wie ein Stück Vieh, das zur Schlachtbank gebracht wird«, flüsterte ein Weib, das am Straßenrand das Schauspiel mit entsetztem Blick verfolgte.
    »Sie ist eine Hexe, und Hexen müssen verbrannt werden, damit sie kein weiteres Unheil heraufbeschwören können«, belehrte ihr Mann sie mit verständnislosem Gesichtsausdruck.
    »Ohne sie wäre ich bei der Geburt der Zwillinge gestorben«, flüsterte sein Eheweib mit tränenerstickter Stimme. »Sie kann nicht böse sein.«
    »Was weißt du schon? Behalt dein unkundiges Geplapper für dich, Frau«, zischte der Mann. »Schon seit Langem munkelt man, dass sie in Buhlschaft mit dem Teufel stehe. Jetzt wurde sie überführt! Während der peinlichen Befragung hat sie gestanden.«
    Die Blicke der Verurteilten und der Ehefrau trafen sich.
    »Habt Erbarmen mit mir«, jammerte die Hebamme und hielt ihre von der Folter angeschwollenen Hände in die Höhe.
    Als die Angesprochene sich wegdrehte, schloss die Verurteilte kurz die Augen, um dann anderen Schaulustigen zuzurufen: »Ihr kennt mich seit vielen Jahren! Nie habe ich einem von euch geschadet. Ich habe euren Kindern in die Welt geholfen. Warum wollt ihr mich bestrafen?« Tränen traten ihr in die Augen, als sie eine Frau erblickte, die sich in der Menschenmenge zu verbergen versuchte. Alle Farbe wich aus dem Gesicht der Greisin, und Wut verzerrte ihre Gesichtszüge. »Warum willst du mich brennen sehen?«, schrie sie und trat auf die Frau zu, so weit der Strick um ihren Hals es zuließ. Doch bevor sie eine Antwort bekommen konnte, zog der Henker sie weiter zum Scheiterhaufen, wo sie unter dem Beifall der Zuschauer an den Pfahl gebunden wurde. Als der Henker Reisig um die Füße der Verurteilten häufte, trampelte sie es keuchend fort. »Ich bin unschuldig!«, schrie sie. Ihr Blick fiel suchend auf die Menschenmenge, bis er bei der Frau hängen blieb, die mitleidlos die Verurteilte anstarrte.
    »Warum?«, rief die Hebamme ihr zu, sodass die Meute sich neugierig umdrehte.
    Ohne den Blick von der Verdammten zu lösen, zog die Frau zwischen ihren Brüsten einen Schlüssel an einem blauen Band hervor. Sie hielt ihn wie eine Trophäe in die Höhe, damit ihn die Alte sehen konnte. Mit verzerrter Stimme beantwortete sie die Frage der Hebamme: »Deshalb!« Dann steckte sie den Schlüssel zurück in ihr Gewand und drehte sich auf dem Absatz um.
    In diesem Augenblick traf sie der gellende Schwur der verdammten Frau: »Dein Leben soll fortan von Angst, Krankheit und Seuchen gezeichnet sein. Ungeziefer soll über dich und die Deinen kommen. Du wirst Hunger und Not leiden. Das schwöre ich im Angesicht meines Todes!«
    Ein Raunen ging durch die Menge, das stetig lauter wurde. Die Frau spürte finstere Blicke in ihrem Rücken, und sie vernahm, wie sich die Menschen um sie herum zuriefen: »Die alte Hebamme hat den Hexenschwur über sie gebracht. Haltet euch von ihr fern!«
    Erschrocken blickte die Frau in die vertrauten Gesichter ihrer Freunde und ihrer Nachbarn. Das Mitgefühl, das ihr zuvor entgegengebracht worden war, hatte sich in pure Angst verwandelt. Sie sah Unverständnis und sogar Hass in den Blicken der anderen.
    »Du wirst doch wohl nicht an einen Hexenschwur glauben?«, fragte eine Nachbarin.
    »Gott wird mich schützen«, erwiderte die Frau. Mit diesen Worten straffte sie die Schultern und verließ den Richtplatz.

• Kapitel 1 •
    Oktober 1634, Wellingen
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