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Der Hexenmeister

Der Hexenmeister

Titel: Der Hexenmeister
Autoren: James Blish
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das jüngste Gericht sein. Ware hat das nicht geglaubt, aber bis jetzt hat er durchaus nicht immer recht gehabt. Ich selbst kann es nicht erraten. Ich habe noch nicht sehr lange in diesen Maßstäben gedacht.«
    »Ich auch nicht.« Hess sah dem Spiel seiner Finger unbeteiligt zu. »Ich versuche immer noch, die Sache in herkömmlichen Begriffen zu analysieren — mit jenen Begriffen also, die für mich dem Universum seinen Sinn gaben. Es ist nicht ganz leicht. Aber Sie erinnern sich doch vielleicht noch daran, wie ich Ihnen sagte, mich interessiere die Geschichte der Wissenschaft. Das bringt es mit sich, daß ich mir darüber Gedanken gemacht habe, warum es so lange keine Wissenschaft gegeben hat, und warum sie, beinahe jedesmal, wenn sie wiederentdeckt wurde, zu irgendeiner Katastrophe geführt hat. Ich glaube, ich weiß jetzt, warum. Es scheint mir, als durchliefe der Menschengeist eine Art Zyklus der Angst. Er kann nur ein begrenztes Maß angesammelten Wissens verarbeiten und verfällt, wenn diese Grenze überschritten wird, in Panik. Der Menschengeist beginnt dann Gründe dafür zu erfinden, warum alles Wissenschaftliche verworfen werden solle, und kehrt so ins finsterste Mittelalter zurück . . . jedesmal im Zeichen einer neuen, erfundenen mystischen Rechtfertigung.«
    »Sehr klar ist mir das alles nicht, muß ich sagen«, entgegnete ihm Baines. Er versuchte immer noch, von seinem Radio etwas zu hören.
    »Das habe ich mir auch eigentlich gar nicht erwartet. Aber so geschieht es eben — und zwar so ungefähr alle tausend Jahre. Die Menschen machen dann einen frischen Anfang. Sie sind mit ihren Göttern glücklich, obwohl sie sich vor ihnen gleichzeitig auch fürchten. Dann wird die Welt in zunehmendem Maße ›verweltlicht‹, alles drängt zum Irdischen hin, und die Götter verlieren an Bedeutung. Gotteshäuser und Tempel stehen verlassen da. Natürlich sind die Leute von Schuldgefühlen erfüllt, aber doch nicht genug für eine Um- und Einkehr. Dann aber haben sie plötzlich genug von Materialismus und Technologie; sie werfen ihre Holzschuhe in das Räderwerk der Maschine, sie beginnen Satan anzubeten oder die Große Erdmutter, sie verfallen in eine hellenistische Periode oder werfen sich dem Christentum in die Arme, in hoc signo vinces — ich habe natürlich jetzt die Chronologie durcheinandergeworfen, aber jedenfalls geschieht es, Baines, mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks, so alle tausend Jahre. Das letzte Mal war es die chiliastische Panik vor der Jahrtausendwende, als alle die Wiedergeburt Christi erwarteten und ihnen bewußt wurde, daß sie ihm nicht gegenüberzutreten wagten. Das war das Herz, der Mittelpunkt, ja die ganze Erklärung für das finstere Mittelalter. Gut, nun also nähert sich ein weiteres Jahrtausend seinem Ende, und die Menschen haben Angst vor unserer Verweltlichung, vor unseren biologischen und Kernwaffen, vor unseren Elektronengehirnen, unserem übertriebenen medizinischen Fortschritt, kurz: vor allen -Segnungen des Fortschritts-, und sie wenden sich nun wieder der Anbetung der Unvernunft, des Alogischen zu . .. genauso, wie Sie es getan haben — und ich habe Ihnen dabei noch geholfen. Heutzutage beten manche Leute fliegende Untertassen an, einfach, weil sie nicht wagen, mit Christus konfrontiert zu werden. Sie haben sich der Schwarzen Magie zugewendet. Wo liegt da der Unterschied?«
    »Das kann ich Ihnen erklären«, sagte Baines. »Niemand hat in all den Jahren wirklich eine fliegende Untertasse gesehen. Die Gründe für die Annahme, jemand habe doch so ein Fahrzeug gesehen, sind armselig. Vielleicht läßt sich das alles so erklären, wie Sie eben angedeutet haben — und wir können auf C. G. Jung und seinen Anhang verzichten. Aber, Adolph, Sie und ich haben einen Dämon gesehen.«
    »Glauben Sie? Ich will es nicht bestreiten. Ich halte es sogar für durchaus möglich. Aber, Baines, sind Sie ganz sicher? Wie wissen Sie, was Sie zu wissen glauben? Wir stehen nun am Vorabend des dritten Weltkrieges, den wir vorbereitet und ausgelöst haben. Könnte all das nicht nur eine Halluzination sein, die wir heraufbeschworen haben, um damit einen Teil unserer Schuldgefühle zu beschwichtigen? Oder ist es vielleicht möglich, daß all das gar nicht wirklich geschieht, und daß wir ebensosehr die Opfer einer chiliastischen Panik sind wie die im üblichen Sinne Religiösen mit ihren endzeitlichen Ahnungen? Das würde mir weit mehr einleuchten als all dieser mittelalterliche Hokuspokus mit
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