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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
Autoren: Daniel Polansky
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hielt. Schweigend beendete ich mein Frühstück, schob den Teller von mir und stand auf. »Wenn Nachrichten für mich kommen, nimm sie entgegen. Ich bin nach Einbruch der Dunkelheit wieder da.«
    Adolphus winkte mir zum Abschied zu.
    Ich trat in das mittägliche Gewusel der Unterstadt hinaus und machte mich auf den Weg nach Osten, in Richtung der Docks. Eine Querstraße weiter erspähte ich Kid Mac, Zuhälter und hochkarätiger Fechter, der in seiner vollen Größe von eins sechzig an der Hauswand lehnte und sich mit finsterer Miene eine Zigarette drehte. Sein Gesicht war mit verblassten Duellnarben übersät, seine Kleidung wie immer perfekt, vom breitkrempigen Hut bis zum Silbergriff seines Rapiers. Er lümmelte mit einem Gesichtsausdruck an der Hauswand, der halb bedrohlich, halb träge wirkte.
    Seit Mac vor einigen Jahren in unserer Gegend aufgetaucht war, hatte er es geschafft, sich ein kleines Revier zu sichern – zum einen, weil er gut mit einer Klinge umzugehen vermochte, zum anderen, weil seine Huren ihm vorbehaltlos ergeben und alle so in ihn vernarrt waren wie eine Mutter in ihr Erstgeborenes. Im Stillen habe ich oft gedacht, dass Mac den leichtesten Job in der ganzen Unterstadt hatte, schließlich brauchte er bloß dafür zu sorgen, dass sich seine Bordsteinschwalben im Gerangel um seine Gunst nicht gegenseitig umbrachten. Wenn man sein ewig finsteres Gesicht sah, wäre man jedoch nie darauf gekommen, wie leicht er es eigentlich hatte. Seit er sich etabliert hatte, standen wir auf freundschaftlichem Fuß, tauschten Informationen aus und erwiesen einander gelegentlich einen Gefallen.
    »Mac.«
    »Patron.« Er reichte mir die Zigarette, die er gerade gedreht hatte.
    Ich zündete sie mit einem Streichholz aus meinem Gürtel an. »Wie geht’s den Mädels?«
    Er schüttete Tabak aus seinem Tabaksbeutel, um sich eine neue Fluppe zu drehen. »Die sind völlig fertig wegen dieses verschwundenen Kindes. Benehmen sich schlimmer als eine Horde Glucken. Die Rote Annie hat die halbe Nacht geheult und alle am Schlafen gehindert, bis Euphemia schließlich auf sie losgegangen ist.«
    »Die sind eben sehr empfindsam.« Ich langte in meinen Ranzen und reichte ihm verstohlen seine Ware. »Irgendwas über Eddie die Möse gehört?«, fragte ich. Das war ein Rivale von Mac, der Anfang der Woche aus der Stadt gejagt worden war.
    »Der arbeitet einen Steinwurf von der Polizeizentrale entfernt und hält es nicht für nötig, die Bullen zu schmieren! Der ist doch zum Scheißen zu dämlich! Glaub nicht, dass er den Winter überlebt.« Mac drehte seine Zigarette mit einer Hand zu Ende und schob sich mit der anderen das Päckchen, das ich ihm gegeben hatte, in die Gesäßtasche.
    »Halt ich auch für unwahrscheinlich«, erwiderte ich.
    Mac steckte sich die Lulle zwischen seine höhnisch verzogenen Lippen. Eine Weile sahen wir zu, wie das Gewusel auf der Straße langsam abnahm. »Hast du diese Pässe schon?«, fragte er.
    »Werde heut meinen Kontaktmann aufsuchen. Dürfte bald was für dich haben.«
    Er gab ein Grunzen von sich, das möglicherweise Zustimmung ausdrücken sollte. Ich wandte mich zum Gehen. »Du solltest wissen, dass Hasenschartes Jungs neuerdings östlich vom Kanal tätig sind.« Er zog an seiner Zigarette und stieß eine Reihe vollendeter Rauchringe aus. »Die Mädchen haben seine Bande in der letzten Woche hier und da gesehen.«
    »Hab ich schon gehört. Bleib, wie du bist, Mac.«
    Er schaltete wieder seinen bedrohlichen Gesichtsausdruck ein.
    Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, Ware zu liefern und dies und das zu erledigen. Der Zollbeamte schob endlich die Pässe rüber. Angesichts seines steigenden Koboldatemkonsums konnte das durchaus der letzte Gefallen sein, den er mir zu tun vermochte.
    Erst am frühen Abend war ich mit allem fertig. Ich machte bei meinem Lieblingsstraßenstand halt, um mir eine Schale Rindfleisch in Chilisauce zu kaufen. Ich musste noch mit Yancey sprechen, der heute Abend in der Nähe der Altstadt vor irgendwelchen hochnäsigen Aristokraten auftrat. Ein ziemlich weiter Weg. Um Zeit zu sparen, nahm ich eine Abkürzung durch eine Gasse. In dem Augenblick sah ich etwas, das mich so abrupt innehalten ließ, dass ich beinah umgekippt wäre.
    Der Reimer würde warten müssen. Vor mir lag die entsetzlich verrenkte Leiche eines Kindes, eingewickelt in ein blutgetränktes Laken.
    Offenbar hatte ich die Kleine Tara gefunden.
    Ich warf mein Abendessen in einen Gully. Mir war der Appetit
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