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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
Autoren: Daniel Polansky
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stumpfsinnigen Schläger wirken, und obwohl er das gar nicht war, sorgte dieser Eindruck doch dafür, dass sich die Leute in seiner Gegenwart anständig benahmen.
    Adolphus war gerade dabei, den Tresen zu säubern. Gleichzeitig schwallte er einen noch halbwegs nüchternen Gast zu, indem er sich über die Ungerechtigkeiten der Welt ausließ. Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Ich steuerte die Theke an und suchte mir den saubersten Platz.
    Adolphus war zu sehr damit beschäftigt, die Probleme der Nation zu lösen, als dass er um der Höflichkeit willen seinen Monolog unterbrochen hätte. Deshalb nickte er mir zur Begrüßung nur kurz zu. »Und zweifellos werden Sie mit mir übereinstimmen, dass seine Lordschaft als Kanzler völlig versagt hat. Soll er doch wieder als Vollstrecker der königlichen Gerechtigkeit Rebellen aufknüpfen – zumindest war das eine Aufgabe, für die er geeignet war.«
    »Mir ist schleierhaft, wovon du redest, Adolphus. Jedermann weiß doch, dass unsere Führer so klug wie ehrlich sind. Übrigens … ist es schon zu spät für einen Teller Rührei?«
    Er drehte den Kopf in Richtung Küche und knurrte: »Frau! Eier!« Nachdem das erledigt war, wandte er sich wieder seinem hilflosen Opfer zu.
    »Fünf Jahre hab ich der Krone geopfert. Fünf Jahre und mein Auge.« Adolphus liebte es, den Verlust seines Auges ins Gespräch einzuflechten. Offenbar war er der Meinung, dass es sonst niemandem aufgefallen wäre. »Fünf Jahre bis zum Hals in Scheiße und Dreck, fünf Jahre, in denen die Bankiers und Adligen in der Heimat reich wurden, weil ich mein Blut für sie vergoss. Ein halber Ockerling pro Monat ist nicht viel für fünf solche Jahre, aber er steht mir zu, und ich will verdammt sein, wenn ich denen das nicht immer wieder unter die Nase reibe.« Er klatschte seinen Wischlappen auf den Tresen und zeigte mit einem seiner Wurstfinger auf mich, weil er sich Unterstützung erhoffte. »Dir steht dieser halbe Ockerling auch zu, mein Freund. Für einen Mann, den seine Königin und sein Land vergessen haben, bist du ganz schön still.«
    Was sollte ich dazu sagen? Der Kanzler würde ohnehin tun, was ihm genehm war, daran würde auch das Geschimpfe eines einäugigen ehemaligen Pikeniers nichts ändern. Ich gab ein unverbindliches Grunzen von mir. Adeline, im Gegensatz zu ihrem Mann klein und still, kam aus der Küche und reichte mir lächelnd einen Teller, den ich, ihr Lächeln erwidernd, an mich nahm. Adolphus fuhr mit seiner Tirade fort, doch ich achtete nicht weiter auf ihn und machte mich über die Eier her. Wir waren seit anderthalb Jahrzehnten Freunde, weil ich ihm seine Geschwätzigkeit ebenso nachsah wie er mir meine Schweigsamkeit.
    Die Wirkung des Koboldatems setzte ein. Ich merkte, wie sich meine Nerven beruhigten und mein Sehvermögen schärfer wurde. Während ich mir Schwarzbrot in den Mund stopfte, dachte ich darüber nach, was es heute alles zu erledigen gab. Ich musste meinen Kontaktmann im Zollbüro aufsuchen – er hatte mir schon vor vierzehn Tagen saubere Pässe versprochen, sein Versprechen aber noch nicht eingelöst. Außerdem stand die übliche Runde bei den Verteilern an, die Stoff bei mir kauften – zwielichtige Barkeeper, kleine Dealer, Zuhälter und Pusher. Abends musste ich zu einer Party oben in Kor’s Heights, und ich hatte Yancey dem Reimer versprochen, mich vor seinem abendlichen Auftritt bei ihm zu melden.
    Der Gast fiel Adolphus ins Wort, seinen verleumderischen Redefluss unterbrechend. »Haben Sie was über die Kleine gehört?«
    Adolphus und ich sahen uns bedrückt an. »Die Bullen sind zu nichts nütze«, erwiderte er und fuhr mit dem Saubermachen fort. Vor drei Tagen war das Kind eines Dockarbeiters verschwunden, aus einer Gasse vor dem Haus der Eltern. Seitdem war die »Kleine Tara« in der Unterstadt so etwas wie eine Cause célèbre. Die Gilde der Fischer hatte eine Belohnung ausgesetzt, die Prachetas-Kirche ihr zu Ehren einen Gottesdienst abgehalten. Selbst die Stadtwache hatte ein paar Stunden lang ihre Lethargie abgeschüttelt, um an Türen zu klopfen und Brunnenschächte zu inspizieren. Gefunden hatte man nichts, und dass ein Kind im einwohnerreichsten Viertel des ganzen Reichs zweiundsiebzig Stunden lang verschwunden blieb, war kaum vorstellbar. So Sakra wollte, ging es dem Mädchen bestens, aber meinen unausgezahlten halben Ockerling hätte ich nicht darauf gewettet.
    Die Erwähnung des Kindes hatte das kleine Wunder zur Folge, dass Adolphus den Mund
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