Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Habichts - Insel

Der Herr der Habichts - Insel

Titel: Der Herr der Habichts - Insel
Autoren: Catherine Coulter
Vom Netzwerk:
hatte. Dann sah sie nichts mehr. Eine Nebelbank und der prasselnde Regen verschluckten das Begleitboot.
    Unablässig schöpfte sie mit gleichmäßigen, rhythmischen Bewegungen, dennoch stand ihr das Wasser bis zu den Knöcheln, und sie fragte sich bang, wie lange die Boote den Naturgewalten noch standhalten würden.
    Durch ihre angstvollen Gedanken drang Roriks Stimme, gleichbleibend ruhig, ermutigend, fest und vertrauensvoll. Sie lenkte all ihre Aufmerksamkeit darauf. Im Takt der Ruderschläge schöpfte sie mechanisch, füllte den Beutel, hob den Arm und kippte das Wasser über Bord, immer wieder und unermüdlich. Dabei schwappte das Wasser ebenso unermüdlich in ihr Gesicht und ins Boot zurück. Das Ausschöpfen schien sinnlos, doch sie brauchte eine Beschäftigung.
    Plötzlich war der Spuk vorüber. Von einem Augenblick zum nächsten legte sich der Sturm, verwandelte sich der peitschende Regen in sanftes Nieseln, und die Boote stellten ihre höllische Berg- und Talfahrt ein.
    Das Unwetter war vorüber.
    Am späten Nachmittag brach die Sonne durch die sich rasch auflösenden Wolken. Die Männer riefen und jubelten vor Erleichterung, priesen die Namen von Allvater Odin und Thor und der Göttin Freya.
    Alle bis auf einen Mann hatten den Sturm überstanden. Mirana sah, wie Rorik mit jedem Mann einzeln sprach, wie er zu Hafter im zweiten Boot hinüberrief, das rasch aufholte und bald neben dem ihren lag.
    Einar saß mit gesenktem Kopf über das Ruder gebeugt.
    »Wir gehen an Land«, rief Rorik.
    Gunleik, der mit gekrümmtem Rücken dasaß, nickte. »Hier ist es ungefährlich«, sagte er zu Mirana. »Es gibt keine gefährlichen Untiefen und Felsen, die uns den Rumpf aufschlitzen könnten. Der Sturm hat uns ostwärts getrieben. Mit Hilfe der Götter und der Geschicklichkeit deines Gemahls haben wir überlebt.«
    »Ja«, sagte sie. »Rorik ist der Beste. Und für dich suche ich eine Sonnendistel, die deine Schmerzen lindern wird. Sie wächst meist nahe am Strand.«
    Er tätschelte ihre Hand. »Wir sind am Leben«, sagte er. »Was zählen da lächerliche Rückenschmerzen?«
    Beide Boote steuerten auf einen Landstreifen zu, der nur ein paar hundert Meter entfernt war. Bäume standen bis dicht zum Strand, was Rorik nicht gefiel. Denn Bäume bedeuteten Deckung für Feinde. Doch die Männer waren völlig erschöpft. Er selbst konnte sich auch nur noch mühsam auf den Beinen halten, und seine Muskeln schmerzten von den vielen Stunden am Ruder. Außerdem mußte man die Boote auf mögliche Schäden untersuchen und wieder instandsetzen. Sein Blick schweifte suchend den Landstreifen entlang. Nichts war zu sehen.
    Plötzlich schnellte Einar hoch und sprang über Bord. Das Seil, das ihn am Ruder festgebunden hatte, hing lose um seine Mitte. Er stürzte ins Wasser und tauchte unter.
    »Kann er schwimmen?« rief Rorik zu Mirana herüber.
    »Wie ein Otter«, sagte sie und beugte sich über den Bootsrand.
    Rorik zog seine Stiefel aus und prüfte den Sitz des Messers in seinem Gürtel. »Hafter, halt Ausschau! Keiner bewegt sich. Wir müssen warten, bis er auftaucht!«
    Als Einar endlich gute zwanzig Meter in Richtung Land vom Boot entfernt auftauchte, schrie Rorik: »Ihm nach«, und die Männer legten sich in die Ruder.
    Die Langboote lagen flach im Wasser und konnten auch durch seichtes Wasser gleiten. Wenn Einar das Land erreichte, würde er in die Wälder fliehen und wäre für immer verschwunden. Unbewaffnet würde er vermutlich von wilden Tieren oder Wegelagerern getötet werden, doch das durfte Rorik nicht zulassen. Er würde dann niemals Frieden finden. Für ihn würde er ewig weiterleben, und sei es nur in seinem Kopf. Wenn er ihn nicht mit eigenen Augen sterben sah, erlangte Einar Unsterblichkeit. Rorik mußte ihn einfangen, und er mußte seinen Tod sehen.
    Er verfluchte seinen Gerechtigkeitssinn. Hätte er den Mörder nur umgebracht, die Schnur solange zugezogen, bis sie ihm die Kehle durchgeschnitten hätte. Aber nein, er wollte den Helden vor seinen Eltern spielen, er wollte ihnen zeigen, wie ihr tapferer Sohn den Todfeind Einar wie einen Sklaven vorführte.
    Er war ein Versager, der Kerl würde ihm entwischen, er spürte es tief in seinem Innern. Einar schwamm mit kräftigen Stößen durchs Wasser, ließ keine Erschöpfung erkennen, und seine Arme teilten die Wellen in rhythmischen Bewegungen.
    Er konnte nicht länger warten. Er war stärker, und er war der bessere Schwimmer. Aber er war erschöpft, seine Arme waren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher