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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein
Autoren: David Berger
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Universitäten in Rom und Lateinamerika verfasste ich zahlreiche, stärker wissenschaftlich gefärbte Beiträge.
    2003 wurde ich dann zum korrespondierenden Professor der zum Vatikan gehörenden Päpstlichen Thomas- Akademie ernannt. Einige Monate zuvor hatte man mich zum Herausgeber und Chefredakteur von Theologisches, der wichtigsten konservativen theologischen Zeitschrift Deutschlands, gewählt.
    In diesen Eigenschaften lernte ich nicht nur alles kennen, was in der ultrakatholischen Szene Deutschlands Rang und Namen hat, sondern kam auch mit traditionalistischen Institutionen in anderen europäischen Ländern in Kontakt. So reiste ich zum Beispiel zu Gastvorträgen an der Opus-Dei-Universität ins spanische Pamplona. Eine theologische Habilitation an der Katholischen Universität Lublin im Jahr 2005 wurde mir vor diesem Hintergrund ebenfalls ermöglicht. Selbstverständlich ergaben sich durch all diese Aktivitäten wichtige Kontakte auch zu hohen Geistlichen der katholischen Kirche.
    Der Einfluss der konservativen Kreise innerhalb der katholischen Kirche wuchs in jenen Jahren in nicht vorhersehbarem Ausmaß, und damit ging eine deutliche Radikalisierung einher, die sich besonders in der Rückkehr zur alten Liturgie und in verschärfter Homophobie und Frauenfeindlichkeit manifestierte. Die Konsequenzen dieses Klimawandels, von denen ich ausführlich berichten werde, hinterließen bei mir erste Spuren. Auf einmal wurde sehr konkret sichtbar, wofür ich mit meinem Einsatz für die konservative Theologie auf theoretischer Ebene gekämpft hatte. Ich erschrak darüber und konnte mich immer weniger mit meiner bisherigen Arbeit identifizieren, was ich gelegentlich auch nach außen hin deutlich machte.
    So war ich innerlich schon ein gutes Stück vom konservativ-katholischen Milieu abgerückt, als im Frühjahr 2010 mein für viele Freunde und Weggefährten schockierender Outing-Artikel in der Frankfurter Rundschau erschien.
    Mein öffentliches Outing markiert das Ende einer sich über zehn Jahre hinziehenden Entwicklung, einer Reise, die mir tiefe Einblicke in das konservativ-katholische Milieu gewährte - und das zu einer Zeit, als durch das Pontifikat Papst Benedikts XVI. der Einfluss dieser Kreise auf den Vatikan und die allgemeine Stimmung in der Kirche seit 2005 rapide zunahm.
    Die folgenden Kapitel stellen wichtige Stationen dieser mehr als ein Jahrzehnt währenden Exkursion dar. Meine Absicht ist es, dem Leser Einblicke in eine ihm sonst weitgehend verschlossene Welt zu ermöglichen, eine Welt, die sich nach außen um einen heiligen Schein bemüht, hinter den Kulissen jedoch ein gänzlich anderes Bild bietet. Dabei soll es nicht nur um meine persönlichen Erfahrungen gehen, sondern ich werde zeigen, inwiefern das von mir Erlebte - ganz unabhängig von sexuellen Orientierungen - exemplarisch ist für die gegenwärtige Situation der katholischen Kirche.

Die alte Messe als Lockmittel
    Angefangen hatte im Grunde genommen alles mit meiner Faszination für die lateinische, tridentinische Liturgie. Diese Form des Gottesdienstes, die das Konzil von Trient im 16. Jahrhundert verpflichtend für die ganze katholische Kirche eingeführt hatte, war bis in die 1950er Jahre weltweit vorgeschrieben und prägte so das geistliche Leben der Katholiken. Kennenlernen konnte ich die tridentinische Messe schon im Alter von siebzehn Jahren. Obgleich sie gesamtkirchlich inzwischen längst verboten war, feierte einer der Präfekten des kirchlichen Internats, das ich besuchte, mit zwei anderen Mitschülern und mir häufiger privat eine Form der Messe, die der tridentinischen sehr nahe kam. Der junge Benediktinerpater, der zugleich ein begnadeter Kirchenmusiker und einfühlsamer Erzieher war, wendete sich dazu mit dem Gesicht zum Kreuz des Altars und mit dem Rücken zu den Gläubigen. Er trug ein kostbares Messgewand aus Goldbrokat und benutzte einen wertvollen überdimensionierten Kelch im neugotischen Stil. Alle Gebete waren in lateinischer Sprache und wurden in einer Art gregorianischem Sprechgesang teils laut vorgetragen, teils leise geflüstert. Das Wissen darum, dass hier etwas kirchenrechtlich nicht ganz Legitimes geschah, faszinierte mich als Jugendlichen ebenso wie das Gefühl, Teil einer esoterisch-exklusiven Veranstaltung zu sein.
    Die heimlichen tridentinischen Zusammenkünfte flogen schnell auf und mussten aufgrund der Beschwerde eines anderen Präfekten beim Abt eingestellt werden. Da wir mit unserem Präfekten auch öfters die
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