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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein
Autoren: David Berger
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Oper und danach noch Restaurants besucht hatten, unterstellte der beim Abt vorstellige Mitbruder, bei den heimlichen Zusammenkünften sei auch ein homosexueller Hintergrund vorhanden.
    Trotz des Verbots und der damit verbundenen haltlosen Unterstellungen war mein Interesse an der alten Liturgie geweckt. Das führte dazu, dass ich mich einige Monate später in einem echten tridentinischen Hochamt der damals der deutschen Öffentlichkeit noch kaum bekannten Piusbruderschaft in deren Zentrum in dem kleinen niederbayerischen Dorf Zaitzkofen wiederfand. Ich war durch ein Werbeblättchen, das vermutlich ein überzeugter Anhänger der Bruderschaft in einer der Bänke der Abteikirche von Münsterschwarzach ausgelegt hatte, auf den Ort aufmerksam geworden.
    Was ich dort erlebte, stellte alles bereits Gesehene in den Schatten. Etwa vierzig junge Priesteramtskandidaten in strahlend weißen, mit langer Brüsseler Klöppelspitze besetzten Rochetts, die sie über tailliert geschnittenen schwarzen Talaren trugen, zogen in einer feierlichen Prozession singend in die festlich erleuchtete Kapelle. Der Kirchenraum war zwar erst zwei Jahrzehnte alt, aber ausgestattet in einem Barockstil, der sich sichtlich bemühte, seine barocken Vorbilder mit noch mehr Blattgold und noch reicherer Draperie aus seidenen und samtenen Tüchern zu übertreffen, Den sauber gescheitelten Alumnen, die mit hohen, weichen Stimmen und in einem wehmütigen Tremolo gregorianische Gesänge sangen, folgte die höhere Geistlichkeit, flankiert von Kerzen tragenden Alumnen. Eingehüllt in Wolken von Weihrauch und bekleidet mit einer Vielzahl farbenfroher, mit ungeheurer Freude am Ornamentalen bestickter Messgewänder, zogen sie getragenen Schrittes zum Hochaltar. Dort fielen sie auf ein Signal des Zeremonienmeisters hin theatralisch auf die Knie und begannen - während die Schola noch sang - einander unverständliche lateinische Gebete, die wie Beschwörungsformeln klangen, zuzumurmeln. Es war eine grandiose Inszenierung, die mit den Klampfen schlagenden, meist eher puristisch gehaltenen, stark das Rationale betonenden Gottesdiensten, mit denen ich aufgewachsen war, nichts mehr zu tun hatte.
    Die reale Welt und ihre Probleme, in der neuen Liturgie drängend präsent in Fürbitten, Wünschen zu Beginn sowie am Ende der Messe und in den Predigten, waren in der religiösen Märchenwelt, in die ich eintauchte, völlig vergessen. Inhalte waren hier für den Gläubigen, der das Mantra eines mit romanischem Akzent gemurmelten oder gesungenen Lateins ohnehin nicht verstehen konnte, völlig gleichgültig geworden.
    An die Stelle von Inhalten und rationaler Auseinandersetzung trat die vieldeutige Sprache der Bilder und Symbole, die uns auf einer tiefen seelischen Ebene überzeugt. Mir eröffnete sich eine Welt, die das Heilige in einer Überbetonung des Ästhetischen zu finden sucht. Eine Welt, in der Inhalte zweitrangig sind und in der man sich vorbehaltlos den Äußerlichkeiten des heiligen Scheins überlässt. Doch diese kritische Einsicht kam mir natürlich erst viel später.
    Zunächst war alles nur diffuses Gefühl, Wellness für das jugendliche Gemüt. Das Priesterseminar mit seinen großen und kleinen Kapellen, seinem »verkleideten« Personal und seinem verwunschenen Park, in dem in Tuffsteingrotten große Gipsmadonnen in einer Mischung aus Andacht und Benommenheit die Augen himmelwärts richteten, erlebte ich wie einen großen katholischen Freizeitpark. Was war es nun, das diese Faszination bei mir ausgelöst hatte?
    Von verhältnismäßig modernen Eltern in einer unkonventionellen Familie antiautoritär erzogen, übte das völlig konträre Prinzip der Ordnung und Disziplin eine eigentümliche Anziehungskraft auf mich aus. Das galt nicht nur für die alte Liturgie, sondern auch für andere Bereiche: Waren meine Eltern überzeugte Pazifisten, die keinen Ostermarsch und keine Demonstration gegen den Vietnamkrieg ausgelassen hatten, so faszinierten mich in dem Alter militärische Rituale, Uniformen und dergleichen. Das beschränkte sich allerdings auf Äußerlichkeiten; nach dem Abitur ging ich nicht zur Bundeswehr, sondern machte Zivildienst.
    Während man sich in der Welt meiner Kindheit immer wieder neu erfinden, alles hinterfragen musste und Kreativität und Phantasie zu den höchsten Idealen zählten, war in der traditionellen Liturgie alles von der höheren Autorität der Tradition vorherbestimmt und geregelt: selbst kleinste Handbewegungen während des
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