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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler
Autoren: Antti Tuomainen
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Vermissten.
    Der Heiler.
    West-Ost oder Nord-Süd.
    Die Nacht gab keine Antwort. Im Obergeschoss dröhnte Musik. Der Wind fuhr durch die Bäume am Hang, peitschte ihre blattlosen Zweige nach Leibeskräften, aber sein Getöse konnte es nur einen Moment lang mit dem Tonwall aufnehmen, den Mensch und Maschine geschaffen hatten. Die Kälte des Betonfußbodens auf dem Balkon trieb meine Füße auf einen wärmeren Untergrund.
    Ich kehrte an den Küchentisch zurück, las sämtliche Texte über den Heiler ein weiteres Mal durch, kochte mir Kaffee und versuchte Johanna anzurufen. Ich war nicht überrascht, dass sie nicht zu erreichen war. Angst und Ratlosigkeit überkamen mich.
    Eins stand jedenfalls fest: Johanna war während einer Recherche verschwunden, bei der sie Nachforschungen über den Heiler anstellte.
    Ich schob alle anderen Gedanken beiseite, trank Kaffee und studierte die E-Mails des Heilers in der Reihenfolge ihres Eingangs, dabei sortierte ich sie auf zwei Stapel. Auf den ersten legte ich all die, in denen die Notwendigkeit der Taten lang und breit begründet und in denen auf Johannas frühere Reportagen eingegangen und angedeutet wurde, dass ihre Arbeit ein bisschen wie die des Absenders war: Lügen aufdeckend und befreiend. Auf den zweiten Stapel kamen jene, in denen einfach nur mit­geteilt wurde, wo die Toten lagen, und das in wenigen hastig und schlecht geschriebenen Zeilen.
    Anschließend blätterte ich beide Stapel erneut durch und kam zum selben Ergebnis wie beim ersten Mal. Es gab zwei Schreiber. Jedenfalls auf dem Papier. Das war zumindest mein Eindruck.
    Ich klickte noch einmal auf die elektronische Karte, die Johanna erstellt hatte. Sie wirkte auf mich wie eine Wegbeschreibung in die Hölle. Ich bewegte die roten Punkte, die die Morde markierten, verglich die Daten und Johannas Prognosen. Zwischen den Morden lagen ­jeweils zwei oder drei Tage. Johanna hatte in alle Himmelsrichtungen Fragezeichen hinzugefügt und mögliche Tatzeiten künftiger Morde errechnet.
    Während ich auf die Karte starrte, fiel mein Blick auf das Symbol für das E-Mail-Account. Ich zögerte eine Weile . Die Post eines anderen zu lesen war eindeutig falsch. Aber war dies nicht eine Ausnahmesituation? Und wir hatten doch keine Geheimnisse voreinander? Dann beschloss ich, das E-Mail-Programm erst dann zu öffnen, wenn es unbedingt nötig war. Vorläufig würde ich mit dem auskommen, was direkt mit Johannas aktueller Story zu tun hatte.
    Mir fiel das Telefonat ein, das ich aufgezeichnet hatte, ich schaltete meinen eigenen Laptop ein und schloss das Handy an.
    Ich überspielte das Gespräch mit Johanna auf meinen Computer, suchte eine Weile im Internet nach dem richtigen Abspiel-Programm, lud es herunter und öffnete die Datei. Das Tonbearbeitungsprogramm war leicht zu bedienen. Ich isolierte die Geräusche, blendete Johannas und meine Stimme aus und lauschte. Ich hörte Autogeräusche, Dröhnen und jenes Rauschen, das ich bereits kannte. Als ich mir alles wieder und wieder anhörte und das Rauschen, die Autos und das Dröhnen unterscheiden konnte, bekam das Rauschen nach und nach feinere ­Nuancen. Hoffnungsvoll gedacht, enthielt es etwas, was sich ständig wiederholte und was nicht etwa vom Wind oder einem Jackenärmel stammte, sondern viel gleichmäßiger war: Wellen. Während ich die Aufnahme wieder und wieder abspielte, schloss ich die Augen, versuchte mich zu konzentrieren und mich gleichzeitig zu erinnern.
    Waren das Wellen, oder wollte ich das nur hören?
    Ich ließ das Rauschen als Endlosschleife laufen und sah mir dabei Johannas Karte und ihre Berechnungen an. Angenommen, das regelmäßige Rauschen kam tatsächlich vom Meer und die Morde folgten Zyklen von zwei oder drei Tagen, dann würden die vom Heiler – und sei es auch nur annähernd – eingehaltene Nord-Süd-Strecke, die Daten und die mit Fragezeichen markierten Punkte irgendwo in der Gegend Jätkäsaari oder Munkkisaari aufeinandertreffen.
    Und wenn ich zusätzlich noch annahm, dass Johanna zum selben Schluss gekommen war, dann hatte sie mich von dort zuletzt angerufen.
    5 Der Taxifahrer, ein junger Nordafrikaner, sprach kein Finnisch und wollte kein Taxometer benutzen. War mir recht. Wir verhandelten den Preis halb mit den Fingern, halb auf Englisch, und so leuchteten vorn im dunklen Wagen konstant vier Nullen, als der Mann Gas
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