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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler
Autoren: Antti Tuomainen
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Gürtels, zog anschließend alles wieder an und ging zur Rezeption.
    Ich bat die Empfangsdame, Johannas Chef anzurufen. Aus irgendeinem Grund hatte er nicht auf meine Anrufe reagiert. Ich hatte den Mann ein paar Mal getroffen und vermutete, dass er antworten würde, wenn der Anruf aus dem eigenen Haus kam.
    Die Frau am Empfang war um die dreißig und hatte ­einen eisigen Blick, ihre kurzen Haare und die kontrollierten Gesten verrieten die ehemalige Berufssoldatin, die jetzt mit der Waffe an der Hüfte über die physische Unversehrtheit der letzten Zeitung des Landes wachte.
    Sie sah mir in die Augen, während sie in den Hörer sprach. »Ein Mann namens Tapani Lehtinen … Die Identität habe ich überprüft … Natürlich … Moment.« Ein Nicken in meine Richtung, die Kopfbewegung war wie ein Axthieb. »Ihr Anliegen?«
    Â»Meine Frau Johanna Lehtinen ist verschwunden.«

    2 Halb aus Versehen hatte ich mein Telefonat mit ­Johanna aufgezeichnet und konnte es inzwischen auswendig:
    Â»Ich habe heute lange zu tun«, begann sie.
    Â»Wie lang ist lange?«
    Â»Die ganze Nacht, wahrscheinlich.«
    Â»Außen- oder Innendienst?«
    Â»Ich bin bereits draußen unterwegs, habe einen Fotografen bei mir. Mach dir keine Sorgen. Wir führen ein paar Gespräche, bleiben unter Menschen.«
    Rauschen, das Brummen von Autos, Rauschen, leises Dröhnen und noch einmal kurzes Rauschen.
    Â»Bist du noch da?«, fragte Johanna.
    Â»Ja, ich sitze immer noch am Schreibtisch, wo sonst?«
    Pause.
    Â»Ich bin stolz auf dich«, sagte Johanna dann. »Weil du weitermachst.«
    Â»Das machst du doch auch«, sagte ich.
    Â»Ja, werd ich wohl«, sagte sie plötzlich leise, fast flüs­ ternd.
    Â»Ich liebe dich. Komm gesund nach Hause.«
    Â»Natürlich«, flüsterte Johanna, und die Worte kamen jetzt schnell, fast ohne Atempause. »Wir sehen uns spätes ­tens morgen früh. Ich liebe dich.«
    Rauschen. Knistern. Leises Knacken. Stille.

    3 Redaktionsleiter Lassi Uutela war um die vierzig, sein Gesicht zierte ein Dreitagebart, und in seinen Augen spiegelte sich eine Gereiztheit, die er nicht verbergen konnte oder wollte. Er stand direkt vor mir, als sich die Fahrstuhltür im fünften Stock öffnete. Über seinem schwarzen Hemd trug er einen dünnen grauen Wollpullover, dazu dunkle Jeans und Turnschuhe. Er hatte die Arme verschränkt und löste sie mit betonter Anstrengung, als ich auf ihn zutrat.
    Seine nicht sehr schmeichelhaften Eigenschaften – Neid auf fähigere Journalisten, die Angewohnheit, sich vor Verantwortung zu drücken, nachtragendes Verhalten und ständige Rechthaberei – waren mir durch Johanna bekannt. Ihre und Lassis Ansichten über journalistische Arbeit und das Profil der Zeitung waren in letzter Zeit immer öfter kollidiert, die Wellen der Kollisionen waren bis zu uns nach Hause geschwappt.
    Wir gaben uns rasch die Hand und stellten uns einander vor, obwohl jeder wusste, wer der andere war. Für einen flüchtigen Moment kam es mir so vor, als würde ich in einem schlechten Theaterstück mitspielen. Kaum hatte Lassi die Hand frei, drehte er sich um, lief los und stieß eine Tür auf. Ich folgte ihm in einen Gang und bemerkte, wie er wütend die Beine warf, als wäre er unzufrieden mit ihrer Fortbewegungskraft. Wir kamen ans Ende des langen Flurs. Dort hatte er sein Büro, es war ein Eckzimmer von wenigen Quadratmetern Größe.
    Lassi setzte sich in einen schwarzen hochlehnigen Sessel und zeigte widerwillig auf den einzigen Besucherstuhl, eine weiße Plastikschale.
    Â»Ich dachte, Johanna hätte heute zu Hause gearbeitet«, sagte er.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt habe ich gehofft, sie hier zu finden.«
    Jetzt war es an Lassi, den Kopf zu schütteln. Die Bewegung war ungeduldig und knapp. »Ich habe Johanna zuletzt auf der gestrigen Redaktionssitzung gesehen, und die beginnt immer abends um sechs Uhr. Wir haben ganz normal besprochen, was anliegt, dann sind die Leute in alle Richtungen auseinandergelaufen.«
    Â»Und ich habe gestern Abend gegen neun mit ihr telefoniert.«
    Â»Wo war sie da?«, fragte Lassi desinteressiert.
    Â»Unterwegs«, sagte ich, und dann nach einer kleinen Pause etwas leiser: »Ich bin leider nicht auf die Idee gekommen zu fragen, wo.«
    Â»Mit anderen Worten, du hast seit vierundzwanzig
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