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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler
Autoren: Antti Tuomainen
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Stunden nichts von ihr gehört?«
    Ich nickte und musterte Lassi. Die zurückgelehnte, ­gelangweilte Haltung, die angestrengte Miene und die Pausen zwischen den Worten verrieten, was er wirklich dachte: Das hier ist reinste Zeitverschwendung.
    Â»Und?«, fragte ich, als hätte ich seine Körpersprache nicht bemerkt oder zumindest nicht verstanden.
    Â»Nun ja«, sagte er, »vielleicht ist das schon öfter vorgekommen?«
    Â»Nein. Wieso?«
    Lassi hob die Augenbrauen: »Nur so. In diesen Zeiten … passiert viel.«
    Â»Uns nicht«, sagte ich. »Das ist eine lange Geschichte, aber uns passiert es nicht.«
    Â»Natürlich nicht«, sagte Lassi in einem Ton, der nicht gerade durch Aufrichtigkeit überzeugte. Er machte sich auch nicht die Mühe, mir in die Augen zu sehen. »Natürlich nicht.«
    Â»An welcher Story arbeitete sie?«, fragte ich.
    Lassi antwortete nicht sofort, er wog den Stift in der Hand und vielleicht auch irgendetwas in Gedanken.
    Â»Welche Story?«, fragte ich erneut, als ich sah, dass er nicht von allein beginnen würde.
    Â»Das ist jetzt irgendwie blöd und außerdem auch vertraulich. Blöd ist vor allem das Thema der Story«, sagte er, stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und sah mich jetzt von unten her an, als wollte er abschätzen, wie ich reagieren würde.
    Â»Okay«, sagte ich und wartete.
    Â»Sie schrieb über diesen Heiler.«
    Kann sein, dass ich zusammenzuckte. Johanna hatte mir vom Heiler erzählt.
    Sie hatte die erste E-Mail gleich nach dem Familienmord in Tapiola erhalten. Der Heiler, ein bloßes Pseu­donym, übernahm die Verantwortung für die Tat. Er erklärte in der E-Mail an Johanna, dass er im Namen der gewöhnlichen Menschen Rache übe, behauptete, die letzte Stimme der Wahrheit in einer dem Untergang geweihten Welt, der Heiler des kranken Erdballs zu sein. Deshalb habe er den Chef eines Industrieunternehmens und dessen Familie ­ermordet. Und deshalb werde er weiter all jene ermorden, die, wie er es darstellte, die zunehmenden Klimaveränderungen mitverursacht hatten.
    Johanna hatte die Polizei informiert. Die Polizei hatte ermittelt und getan, was sie konnte. Inzwischen waren neun Manager und Politiker samt ihren Familien tot.
    Ich seufzte.
    Lassi zuckte mit den Schultern und schien zufrieden mit der Reaktion, die ich gezeigt hatte. »Ich sagte ihr, dass es zu nichts führt«, erklärte er. Ich bemerkte einen leisen Triumph in seiner Stimme. »Dass sie nichts erfahren wird, was die Polizei nicht auch herausfindet. Außerdem wünscht unsere rapide schrumpfende Leserschaft so etwas nicht. Das ist nur deprimierend. Die Leute wissen auch so, dass alles beschissen ist.«
    Ich drehte mich um und blickte hinaus auf die dunkle Töölö-Bucht. Ich wusste, dass an ihrem Ufer Gebäude standen, obwohl ich sie nicht sehen konnte. »Hatte Johanna die Story schon fertig?«, fragte ich, als wir unserem eigenen Atem und dem des Hauses genug gelauscht hatten.
    Lassi lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah mich aus halb geschlossenen Augen an, so als befände ich mich fern am Horizont und nicht auf der anderen Seite des Schreibtisches. »Wieso?«
    Â»Johanna und ich halten ständig Kontakt«, erklärte ich. Schon jetzt wusste ich, dass ihn nichts weniger inter­essierte. Mir schoss durch den Kopf, dass man manchmal Dinge nicht nur zu dem Zweck wiederholte, andere Menschen zu überzeugen. »Das bedeutet nicht unbedingt permanent. Aber normalerweise schicken wir uns alle paar Stunden eine SMS oder E-Mail. Auch dann, wenn wir nichts Besonderes auf dem Herzen haben. Manchmal schreiben wir nur zwei, drei Worte. Irgendetwas Lustiges, auch mal eine kleine Zärtlichkeit. Das ist bei uns so üblich.« Den letzten Satz betonte ich absichtlich.
    Lassi lauschte mit zurückgelegtem Kopf und ausdrucksloser Miene und, wenn ich es richtig interpretierte, ohne jedes Interesse.
    Â»Jetzt habe ich vierundzwanzig Stunden nichts von ihr gehört«, fuhr ich fort und begriff, dass ich meine Worte an mein Spiegelbild im Fenster richtete. »Das ist der längste Zeitraum ohne ein Wort von ihr in den zehn Jahren, die wir verheiratet sind.« Ich machte eine kleine Pause, ehe ich, sämtliche Klischees bedienend und sie gleichzeitig völlig ignorierend, sagte: »Ich bin mir sicher, dass etwas passiert ist.«
    Â»Es ist etwas
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