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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler
Autoren: Antti Tuomainen
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Töölö ebenso kalt wie bei uns in Herttoniemi, allerdings nicht so still. Vereinzelt waren, neben Motorgeräuschen, Autohupen und Suomi-Rock, auch Rufe von Menschen zu hören, sogar Feiern schienen im Gange zu sein. Das heitere Lachen einer Frau, das über allem schwebte, klang sorglos und zugleich fremder als alles andere, was ich in letzter Zeit gehört hatte.
    Ahti und Elina Kallio waren Freunde von Johanna und mir, hauptsächlich verband uns die Freundschaft der beiden Frauen. Und nein, auch Elina hatte nichts von Johanna gehört.
    Ich stand im Flur der Kallios, zog meine regennasse ­Jacke und die Schuhe aus und hörte mir die Fragen an, die die beiden abwechselnd stellten.
    Â»Wo kann Johanna sein?«
    Â»Hat sie tatsächlich kein einziges Mal angerufen?«
    Â»Und niemand weiß, wo sie ist?«
    Schließlich stellte Ahti eine Frage, die ich beantworten konnte.
    Â»Ja, gerne, ich nehme einen Kaffee.«
    Ahti verschwand in der Küche, Elina und ich gingen ins Wohnzimmer, wo zwei matt leuchtende Stehlampen und eine flackernde Kerze ein weicheres Licht schufen, als ich ertragen konnte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass jetzt eine andere Stimmung erforderlich war, außerdem mehr und entschieden helleres Licht.
    Ich setzte mich aufs Sofa, Elina wählte den Sessel mir gegenüber. Sie zog einen hellbraun gestreiften Wollschal auf ihren Schoß, breitete ihn nicht ganz aus, ließ ihn aber auch nicht völlig zusammengefaltet. Der Schal lag dort wie ein lebendiges, wartendes Wesen. Ich erzählte Elina in groben Zügen, was ich wusste: Johanna hatte sich seit vierundzwanzig Stunden nicht gemeldet, und den Fotografen hatte man nicht erreichen können, außerdem erwähnte ich, worüber Johanna schrieb.
    Â»Sie hätte angerufen«, sagte Elina, als ich fertig war. Sie sprach so leise, dass ich ihre Worte erst rekapitulieren musste.
    Ich nickte und sah zu Ahti auf, der jetzt hereinkam. Ahti war ein kleiner, drahtiger Mann, Jurist von Beruf, korrekt bis ins Komische, aber auch ebenso überraschend in manchen Dingen. Mir kam eine Idee, und fast gleichzeitig entdeckte ich in seinem forschenden Blick eine Spur Unsicherheit, die ebenso schnell verschwand, wie sie aufgetaucht war.
    Ahtis Augen streiften mich nur flüchtig und verharrten dann wesentlich länger bei Elina. Die beiden schauten ein­ander eine Weile an und wandten sich dann fast gleichzeitig mir zu. In Elinas braunen Augen schimmerten ­Tränen. Ich hatte Elina noch nie weinen gesehen. Aus ­irgendeinem Grund überraschte es mich jedoch nicht. Vielleicht hatte mir die übertrieben heimelige Atmosphäre im Raum verraten, dass Unvorhergesehenes zu ­erwarten war.
    Â»Wir hätten es schon früher erzählen müssen«, sagte Ahti. Er stand jetzt mit den Händen in den Taschen hinter Elinas Sessel. Auf ihren Wangen glänzten Tränen.
    Â»Was?«, fragte ich.
    Elina wischte sich rasch die Augen, so als wollte sie ­etwas beseitigen. »Wir ziehen weg«, sagte sie. »In den Norden.«
    Â»Wir besitzen einen einjährigen Mietvertrag für eine Wohnung in einer Kleinstadt«, sagte Ahti.
    Â»Ein Jahr?«, fragte ich. »Und was dann, wenn das Jahr vorbei ist?«
    Elinas Augen füllten sich erneut mit Tränen. Ahti streichelte ihr Haar, sie ergriff seine Hand. Beide wanderten mit ihren Blicken durch den Raum, ohne irgendwo anzuhalten. Ein misstrauischerer Mensch hätte den Eindruck gewinnen können, dass sie vor etwas auswichen. Aber wovor denn?
    Â»Das wissen wir nicht«, sagte Ahti. »Aber schlechter als das Leben hier kann es nicht werden. Ich habe vor einem halben Jahr endgültig meine Arbeit verloren, und Elina hat seit zwei Jahren keine Lehraufträge mehr gehabt.«
    Â»Ihr habt nie etwas gesagt«, konstatierte ich leise.
    Â»Nein, weil wir dachten, dass vielleicht alles noch gut wird.«
    Wir saßen eine Weile schweigend da. Der Duft frischen Kaffees wehte herein. Ich war nicht der Einzige, der es bemerkte.
    Â»Ich sehe mal nach, ob das Wasser durchgelaufen ist«, sagte Ahti, und seine Stimme klang deutlich erleichtert.
    Elina wischte sich mit dem Blusenärmel die Augen. Der weite Stoff wickelte sich um das Handgelenk, sie zog ihn mit der anderen Hand gerade.
    Â»Wir hatten ernsthaft geglaubt«, sagte sie wieder so leise, dass ich mich vorbeugen musste, um ihre Worte zu verstehen, »dass uns etwas einfällt,
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