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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler
Autoren: Antti Tuomainen
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hatte. Ich stülpte mir die Kapuze über den Kopf, zog die Riemen des Rucksacks fester und ging los.
    Ich hielt den Blick starr auf den Boden geheftet. Der ­Regen klebte kalt auf meinem Gesicht. Als ich in die Fredrikinkatu eingebogen war und wenige Schritte zurückgelegt hatte, hörte ich ein Auto hupen, einmal und gleich noch ein zweites Mal. Es kam von der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich schob die Kapuze so weit beiseite, dass ich etwas sehen konnte. Es war der junge Nord­afrikaner, der mich von Herttoniemi hergefahren hatte.
    Das Taxi stand mit laufendem Motor mitten auf der dunklen Straße. Ich ahnte, dass es drinnen bedeutend trockener und wärmer war als auf dem Bürgersteig. Wenige Sekunden später saß ich fest und sicher auf der Rückbank und bat den Fahrer, diesmal in südliche Richtung zu fahren.
    Er hatte einen Namen und eine Geschichte: Hamid. Seit sechs Monaten in Finnland. Warum er auf mich gewartet hatte? Weil ich die Tour bezahlt hatte. Ich fand an dem jungen Mann nichts auszusetzen. Niemand wollte umsonst arbeiten.
    Hamid gefiel es in Finnland. Hier gab es immerhin noch gewisse Möglichkeiten klarzukommen, hier hätte auch er eventuell noch die Chance, eine Familie zu gründen.
    Ich lauschte seinem Englisch und musterte ihn von der Seite. Ein schmales, hellbraunes Gesicht, lebendige nussbraune Augen im Rückspiegel und rasche Hände am Lenkrad. Dann betrachtete ich die vorbeigleitende Stadt, die überfluteten, von Wasser glänzenden Straßen, Pfüt zen in Teichgröße, zerbrochene, zersplitterte Fenster, aus den Angeln gerissene Türen, schwarz verkohlte Autos und durch den Regen trottende Menschen. Da, wo ich den Untergang sah, war für Hamid Hoffnung.
    Wir kamen ans Ende der Lönnrotinkatu, überquerten die Kreuzung und nahmen Kurs auf Jätkäsaari.
    Hamid fuhr jetzt langsamer, er redete nicht mehr und hatte dafür seine Musik lauter gedreht. Was da aus den Lautsprechern dröhnte und wummerte, war irgendeine Mischung aus Gangsta-Rap und nordafrikanischen Rhythmen. Überlagert war das Ganze von einer hämmernden Männerstimme, die in einer unbekannten Sprache tausend Worte in der Minute ausstieß.
    Als Hamid wissen wollte, wohin er fahren sollte, sagte ich: »Geradeaus.« Etwas anderes fiel mir nicht ein. Ich sah mir auf dem Handy wieder Johannas Texte an, blätterte in ihren Notizen. Ich öffnete die Datei des aufgezeichneten Telefonats und bat Hamid, mein Handy mit den Lautsprechern im Auto zu verbinden. Das kostet extra, sagte er. Ich nickte. Er wünschte Vorkasse. Ich reichte ihm mein Handy und einen Geldschein. Er lächelte breit, faltete den Schein zusammen, steckte ihn in die Tasche und schloss mein Handy an die Lautsprecher an.
    Der Tausend-Worte-in-der-Minute-Mann verstummte, stattdessen ertönte Rauschen.
    Hamid sah mich fragend an und versuchte offenbar, sich ein neues Bild von mir zu machen.
    Ich nickte wieder: Genau das wollte ich hören.
    Wir kamen ans Ende der Straße, rechts vor uns befand sich der Stadtteil Lauttasaari, links vor uns war Dunkelheit und hinter uns standen Wohnblöcke. Hamid wollte wissen, wohin er nun fahren sollte. Ich zeigte auf das geschlossene Strandcafé und den Parkplatz dahinter.
    Das Strandcafé war innen dunkel und außen beleuchtet. Seine großen, rechteckigen Fenster waren nicht zerschlagen und auffällig sauber, vor dem Haus lag kaum Müll. Es war, als wären wir innerhalb einer Viertelstunde in eine andere Welt gereist.
    Â»Der Platz ist okay«, sagte ich zu Hamid, »mach den Motor aus, lass uns zuhören.« Gleichzeitig steckte ich ihm einen neuen Geldschein zu.
    Er tat wie gewünscht und ließ das Rauschen durchs Auto fluten, ehe es sich im Dunkeln auflöste. Ich öffnete das Fenster und bat ihn, langsam die Lautstärke herunterzudrehen.
    Ein Rauschen verhallte, ein anderes ersetzte es.
    Wahrscheinlich.
    Nur wahrscheinlich?
    Sehr wahrscheinlich?
    Vielleicht war dies der Ort, von dem aus Johanna mit mir telefoniert hatte.
    Ich beauftragte Hamid zu warten, nahm mein Handy und stieg aus. Der Wind kam vom Meer und fuhr sofort in meine Haare und meine Kleidung. Er riss und zerrte, wie um richtig zupacken zu können. Hier direkt am Ufer wäre er auch ohne Regen feucht gewesen.
    Ich stülpte mir die Kapuze über, drückte das Handy ans Ohr, so dass es vor dem Regen geschützt war, und ließ das Rauschen
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