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Der Hauptmann von Koepenick

Der Hauptmann von Koepenick

Titel: Der Hauptmann von Koepenick
Autoren: Carl Zuckmayer
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Dienst, das macht die frische Luft, das macht des Kaisers Garde, was? Na, nu zeigense mal her, lassense sich mal bewundern, wo sitzt der Schaden, wo liegt der Hund begraben, das wolln wa gleich haben – was?
    V. SCHLETTOW
Ich weiß nich, Herr Wormser, mit der Uniform is was nich richtig. Ich hab son komisches Gefühl im Genick, un die Gesäßknöppe sitzen auch nich vorschriftsmäßig.
    WORMSER
ruft Willy, brings Maßbuch. Ich werde die Sache untersuchen, Herr Hauptmann, Sie sollen sich persönlich überzeugen. Glänzend steht Ihnen der Rock! Willy, mach rasch! ’n wunderschöner Stoff, was? ’n Stöffchen!! Also das Stöffchen, das kriegen von mir nur die Herren von der Garde un die kaiserlichen Prinzen. Sehnsemal – Er fährt mit den Fingerknöcheln übers Tuch  – ’n Glanz wie son frisch gewichster Pferdepopo – was?
    V. SCHLETTOW
lachend Gottvoll, Wormser! Is ja enorm! Pferdepopo –! Einfälle haben Sie!
    WILLY
erscheint mit dem Maßbuch. Er ist sechzehn Jahre alt, schmal, blaß, verpickelt und ungelenk. Die jüdischen Rassemerkmale sind bei ihm stärker ausgeprägt als beim Vater.
    WORMSER
Zeig her, Willy, leg’s hin, schlag’s auf, träum nicht, mach e bißje. Sehnse hier, Herr von Schlettow – sehnse selbst: wie steht’s da schwarz auf weiß? Schoßknöpfe Abstand sechseinhalb Zentimeter. Stimmt’s oder hab ich recht? Was wollense mehr.
    V. SCHLETTOW
Steht schon da – sitzt aber nich. Messense nur mal nach! Während der letzten Sätze, etwa gleichzeitig mit dem Auftreten Willys, ist im Hintergrund auf der Straße ein Mann erschienen – kurz stehengeblieben, weitergegangen. Nun kommt er langsam zurück, geht bis zur Ladentür, starrt in die Scheiben.
    WORMSER
Wabschke, gebense ’s Zentimetermaß. Willy, halt dich grad! Ich kann nicht sehen, wie de rumstehst. Wenn du so weitermachst, kommste nie zum Militär. Was will denn der Mann an der Glastür? Willy, schau mal nach. Na, nu läuft er wieder wech. Er mißt nach Sehnse, Herr Hauptmann, wenn man’s genau nimmt, habense recht. Also von Ihnen möcht ich erschossen werden, Sie treffen ’n Flohstich mittenmang in de Mitte. Die Knöppe sitzen um ’n halben Zentimeter zu weit.
    V. SCHLETTOW
Das hab ich im Gefühl. Das hab ich ja gleich gesagt. Lachense nich, Wabschke, Sie denken, das is ne Kleinigkeit. Is auch ne Kleinigkeit. Aber an den Kleinigkeiten, daran erkennt man den Soldaten. Darauf is alles aufgebaut, da steckt ’n tieferer Sinn drin, verstehnse? Genau dieselbe Sache wie mit ’n Stechschritt. Leute glauben immer, is Schikane. Is keene Schikane, steckt auch tieferer Sinn drin, das muß man nur kapieren, verstehnse?
    WORMSER
Meine Rede, Herr Hauptmann, meine Rede! Was sag ich immer? Der alte Fritz, der kategorische Imperativ und unser Exerzierreglement, das macht uns keiner nach! Das und die Klassiker, damit hammer’s geschafft in der Welt! Willy, nemm die Händ aus der Tasch un halt dich grad. Schau dir ’n Herrn Hauptmann an, das is e Figur. Woher hat er die Figur? Er hat sich gradgehalten. Die Ladenglocke ertönt Na, das is er ja wieder!
    WILHELM VOIGT
schmächtige Gestalt, mager und etwas gebückt, leicht angedeutete O-Beine, hohles Gesicht mit starken Backenknochen, grauer Schnurrbart, fahle Hautfarbe. Er trägt einen alten, aber nicht zerlumpten dunklen Anzug, Hemd ohne Kragen, steifen Hut, grobe Stiefel, in der Hand ein verschnürtes Paket. Er hält den Türgriff fest und schaut wie erstaunt in den Laden.
    WORMSER
Was wollense denn? Habense was abzugeben?
    VOIGT
– Nee. Er schließt die Tür, geht weiter.
    V. SCHLETTOW
Was will denn der, sieht ja aus wie ne Leiche auf Urlaub.
    WORMSER
Ich weiß nich – vielleicht will er sich ne Gardeuniform bestellen!
    V. SCHLETTOW
Tadellos, Wormser! Einfach zum Piepen!
    WABSCHKE
zu Wormser Det is neemlich so, det wa mißten de janze Schoßfalte ufftrennen, an der de Gesäßkneppe anjesetzt sind, und denn stimmt det wieder in de Tallje nich.
    WORMSER
Also, Herr Hauptmann, wegen der paar Millimeter werdense sich den schönen Stoff nich verschnipseln lassen. Vorschrift is Vorschrift – aber damit kann Ihnen ja nu wirklich nichts passieren.
    V. SCHLETTOW
So, kann mir nischt? Jovial Na, und wenn ich nu Untern Linden Majestät begegne, und Majestät zieht Zollstöckchen aus der Tasche und mißt mir Gesäßknöppe nach – na und was dann? Lacht.
    WORMSER
Was dann? Ich wer Ihnen mal was sagen: dann fragt er natürlich, von wem hamse den Rock, sagen sie: von Adolf Wormser aus Potsdam.
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