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Der Hase aus Amerika und andere Beziehungskisten (German Edition)

Der Hase aus Amerika und andere Beziehungskisten (German Edition)

Titel: Der Hase aus Amerika und andere Beziehungskisten (German Edition)
Autoren: Nicole Schröter
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verschwand.
     
    Es war die Abschlussfeier von Sandras ältester Schwester,
auf der ich Gordon das erste Mal sah. Er stand lässig mit ein paar Freunden in
der Ecke, rauchte und nippte gelegentlich an seiner Bierflasche. Er trug eine
verwaschene Jeans, die bei ihm so unverschämt viel besser saß, als bei allen
anderen, die etwas Ähnliches trugen. Sein braunes Haar stand ihm verwuschelt
vom Kopf ab. Sein T-Shirt war schlicht weiß, aber nichts hätte seine gebräunte
Haut besser zur Geltung bringen können.
     
    Sandra war ganz aufgeregt, als sie ihn mir von Weitem
zeigte. „Ist der nicht wahnsinnig süß?“ Es war mehr eine Feststellung, als eine
Frage. „Weißt Du, er war schon ein paar Mal bei uns,“ flüsterte sie. „Bei
meinen Schwestern, am Wochenende. Er ist erst seit einem Jahr wieder in
Deutschland, hat mit seinen Eltern vorher in Amerika gewohnt. Da ist er auch
geboren. Obwohl seine Eltern Deutsche sind. Aber der Vater hat da irgendwas gearbeitet.
Gordon heißt er und er sieht nicht nur verdammt gut aus, er spricht auch noch
genauso gut Englisch. Nächstes Wochenende kommt er wieder zu uns. Er hat meinen
Schwestern gesagt, dass er mich total süß fände. Deshalb kommt er auch. Mein
Gott, was soll ich nur anziehen am Wochenende,“ fragte sie mich. Was sollte ich
sagen? Trug ich doch am liebsten Jeans und Sweatshirt, und hatte auch da mit
schon mal den einen oder anderen Treffer gelandet. „Zieh dich doch einfach wie
immer an. Bleib einfach du selbst,“ befand ich und sah dabei noch einmal
verstohlen zu Gordon hinüber. Leider guckte er auch gerade zu uns, ich wurde
unabsichtlich rot – das passierte mir ständig – und Sandra beschimpfte mich,
ich solle nicht ständig zu ihm hinsehen. Den würde sie sich angeln, dass das
klar war. Sie habe ihn mir nur gezeigt, weil ich ihre beste Freundin sei. Ich
hatte verstanden und mit der Zeit vergaß ich ihn.
     
    Ich hätte ihn noch besser vergessen können, hätte Sandra
nicht pausenlos von ihm geredet. Mittlerweile war er tatsächlich ihr Freund und
ich wurde mehr und mehr zum Lückenfüller. Nur wenn der Hase, denn so liebevoll
wurde er inzwischen von ihr betitelt, mal unabkömmlich war, erinnerte sich
Sandra daran, dass ich ihre beste Freundin war.
     
    Wie sie auf den Kosenamen Hase gekommen war, weiß ich nicht
mehr. Einen unpassenderen Namen hätte sie gar nicht finden können. Denn wie ein
Hase wirkte Gordon nun wirklich nicht, eher wie ein wunderschöner glänzender
Tiger. Aber Sandra schien als Einzige nicht zu bemerken, wie lächerlich das
klang. Und niemand wagte es, sie darüber in Kenntnis zu setzen.
     
    Ich freute mich immer, wenn ich Sandra besuchen durfte, denn
obwohl sie jetzt den Hasen hatte, gestattete sie mir nach wie vor keine
weiteren Freunde. Einmal hatte ich mich mit einer Klassenkameradin zum Eisessen
verabredet, da mir zu Hause mittlerweile die Decke auf den Kopf fiel, obwohl es
nicht mehr der erste Teil der Sommerferien war. Ausgerechnet an jenem
Nachmittag hatte Sandra verzweifelt versucht, mich zu erreichen. Der Hase war
nicht da gewesen und ich hatte es gewagt, mich mit einer anderen zu treffen.
Sie war außer sich. Sie muss sich zum ersten Mal schrecklich verlassen gefühlt
haben. Dass ich mich dank ihres Hasen ständig so fühlte, kam ihr nicht in den
Sinn.
    Gelegentlich durfte ich noch ein Wochenende bei ihr
verbringen. Ursprünglich hatte ich jedes Wochenende bei ihr übernachtet.
Inzwischen verbrachte sie ihre Nächte mit einem Hasen, und ich wieder mit
meiner Katze.
     
    An diesen seltenen Wochenenden bei ihr verdunkelte sie wie
eh und je ihr großes Fenster und zündete ein paar Kerzen an. Aber wir
unterhielten uns nicht mehr. Nur sie redete. Sie redete ununterbrochen von
ihrem Hasen. Bald kannte ich ihn genauso gut wie sie. Ich wusste, wo er eine
Narbe hatte, kannte seine wichtigsten Leberflecken, erfuhr, wie er gebaut war,
und wie er damit umzugehen wusste. Sie wurde einfach nicht müde von ihm zu
reden und mir wurde es immer langweiliger. Der Hase musste einfach göttlich
sein, was für eine Chance hatte ich da noch?
     
    Es kam auch vor, das der Hase dabei war, wenn Sandra sich
mit mir verabredete. Er saß dann auf ihrem Bett, sie wie ein kleiner treuer
Hund zu seinen Füssen. Immer wieder blickte sie mit verklärtem Blick zu ihm auf
und tätschelte dabei sein Bein. Ich saß ihnen gegenüber, allein in der
Kissenecke und beobachtete fassungslos die Transformation meiner starken und
stolzen Freundin, in ein
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