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Der Hammer der Götter

Der Hammer der Götter

Titel: Der Hammer der Götter
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einen Namen zuzuordnen, oder gar ein Gesicht.
    Er wusste auch nicht genau, wie lange er schon im Bug des Schiffes stand und auf das Meer hinaussah, oder in welche Richtung sie fuhren. Es musste lange sein, denn das Schwarz der Nacht begann allmählich einem schmutzigen Grau zu weichen, das über dem Horizont aufstieg, und tief in sich spürte er, dass der Sturm schon seit Stunden vorüber war. Das Schiff trieb steuerlos über ein Meer, das schon beinahe unheimlich ruhig war, als hätte die Natur all ihre Kräfte im Toben dieser einen Nacht verbraucht und wäre nun in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung gefallen. Das Feuer war längst gelöscht, und er selbst hatte das Schiff zweimal vom Bug bis zum Heck durchsucht und sich davon überzeugt, dass sich keine der unheimlichen Kreaturen mehr an Bord befand. Dennoch lag noch immer ein leiser Brandgeruch in der Luft, und darunter, ganz sacht nur, aber auch zu penetrant, um ihn nicht zu bemerken, ein schwacher Hauch von Fäulnis.
    Nichts von alledem bedeutete mehr etwas.
    Er fühlte sich leer, als hätte der brutale Kampf einen Teil seiner Lebenskraft aufgezehrt, den er vielleicht nie wieder zurückbekommen würde.
    War es der Geschmack der Niederlage, den er verspürte?
    »Wir sind noch acht, Thor«, sagte Torben, als ihm nach einer Weile klar zu werden schien, dass er keine Antwort bekommen würde; vielleicht nicht einmal einen Blick. »Dich und mich mitgerechnet. Sechs Männer.«
    Glaubte er denn, dass er das nicht wusste?
    Thor sah jedes einzelne dieser sechs Gesichter vor sich, die Erschöpfung und den Schmerz auf ihren Zügen, und die dumpfe Verzweiflung in ihren Augen. Er fragte sich, was Torben eigentlich von ihm wollte, kam zu keiner Antwort und drehte sich widerwillig zu ihm herum, begriff er doch immerhin, dass er keine Ruhe geben würde, bis er irgendetwas sagte. Auch wenn er nicht wusste, was.
    »Sechs von hundert. Willst du mir das sagen?«
    Torben deutete ein Kopfschütteln an. »Gunnar«, sagte er. »Harald, Jorg, Ole, Hrungar und Björn, Thor. Ich weiß, du willst die Namen der Männer nicht wissen, weil ein Name ein Gesicht aus einer Person macht, die vorher einfach nur ein Krieger war, aber diese sechs Namen nenne ich dir, und ich möchte, dass du sie dir merkst, denn es sind nicht die letzten von hundert, Herr. Es sind die letzten von tausend. Und wenigstens die sollten wir nach Hause bringen.«
    Da war so viel, was er darauf sagen wollte, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst, als er den Schmerz in Torbens Augen sah. Der Freund, den er einmal gehabt hatte, war nicht mehr da. »Können wir es denn?«
    Torben nickte abgehackt. »Zur Zeit treiben wir, und ich wünschte, Ihr hättet das andere Schiff angezündet, und nicht dieses. Aber es ist ein gutes Schiff, und die Männer wissen, was sie tun. Gebt ihnen einen Tag, und das Boot ist wieder halbwegs seetüchtig. Es wird keine bequeme Reise, aber wir kommen nach Hause.«
    Etwas bewegte sich hinter ihm im Meer, etwas Großes und Mächtiges, das dicht unter der Wasseroberfläche dahin glitt. Vielleicht nur ein Splitter aus verirrtem Sternenlicht, der sich auf den Wellen brach.
    »Dann ist es gut«, antwortete Thor.
    Torben schwieg. Das war nicht die Antwort, auf die er gehofft hatte. Aber nach einer Weile nickte er nur, drehte sich brüsk herum und ging mit schnellen und sonderbar steifen Schritten davon.
    Thor wartete darauf, dass er sich noch einmal herumdrehte oder wenigstens einen Blick über die Schulter zu ihm zurückwarf, doch Torben beschleunigte seine Schritte eher noch, um mit den Schatten im hinteren Teil des Schiffes zu verschmelzen, und Thor blieb nicht nur allein zurück, sondern fühlte sich auch auf seltsam schmerzliche Art allein gelassen . Die Männer mieden seine Nähe, und dasselbe tat Torben jetzt offensichtlich auch. Das Schiff war nicht groß, und beschäftigt mit allerlei Reparaturen hätten sich zumindest einer oder zwei in seiner Nähe aufhalten müssen, zumal das hintere Drittel des Schiffes aus kaum mehr als einem Durcheinander aus geborstenen Planken und verkohltem Holz bestand. Das war nicht der Fall. Die Männer gingen ihm aus dem Weg, und sie taten es jetzt nicht mehr aus Ehrerbietung oder Respekt, sondern weil sie schlichtweg Angst vor ihm hatten.
    Aber was hatte er erwartet? Sie und alle ihre Kameraden hatten sich ihm angeschlossen, weil sie seinen Worten geglaubt hatten, seinem Versprechen auf eine bessere Zukunft und eine neue Heimat für sich und die ihren, aber statt
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