Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin
Autoren: Viktor Jerofejew
Vom Netzwerk:
amerikanische Zeitungen und Zeitschriften, suchte nach Verleumdungen der Sowjetunion, um diese zusammenzufassen und ihren Vorgesetzten in der Presseabteilung vorzulegen.
    Die Amerikaner benahmen sich gar nicht schön, verleumdeten uns ausgiebig und bewarfen das russische Volk heftigst mit Dreck. Sie schrieben, die Russen seien Selbstzerstörer, die sich gegenseitig in sibirische Todeslager verschleppten, und Stalin sei der grausamste Diktator der Welt, ein Menschenfresser, der das Baltikum, Polen und das ganze restliche Osteuropa geschluckt habe. Den gutmütigen Uncle Joe, den Verbündeten in der Kriegskoalition, gab es nicht mehr. Andere, weniger Abgehärtete hätte bei solchen Erklärungen der Schlag treffen können, doch von Mama prallten derlei Verleumdungen ab wie Erbsen von der Wand. Sie wusste ja, dass die sibirischen Baustellen des Kommunismus keine Todeslager waren. She did hate the Americans , mit Ausnahme von Theodore Dreiser, den sie in ihrer Freizeit ins Russische übersetzte; ihr Traum war es, Übersetzerin zu werden. Mama wusste, dass die Amerikanerinnen krumme, behaarte legs hatten, die sie demonstrativ rasierten. Die Bilder eines fremden, ausländischen Lebens standen ihr tagtäglich vor Augen. Zwinkernd forderte das Kamel sie auf, gemeinsam mit ganz Amerika zu rauchen. Aber noch mehr als Amerika hasste sie meine Großmutter, Anastassija Nikandrowna.
    Während die Amerikaner bisher nur Pläne schmiedeten, ihre Luftlandetruppen auf dem Roten Platz abzusetzen und damit Kommunisten und Eisbären in Angst und Schrecken versetzten, war Großmutter bereits in Moskau gelandet und in unsere Wohnung eingedrungen. Sie hatte eine eigene Wohnung in der Mochowaja-Straße in einem zweistöckigen Haus, das gleich neben der Villa des Kalinin-Museums stand, direkt gegenüber der Metrostation »Leninbibliothek«, mit Ofenheizung, dem besonderen Geruch der russischen Provinzeinsamkeit, Wasserleitung, aber ohne Kanalisation (unter dem Waschbecken im Flur stand ewig ein Eimer mit trübem Seifenwasser; da pinkelte ich hinein), doch in unserer Wohnung wurde sie, nachdem sie Marussja in den Hintergrund gedrängt hatte, die Herrscherin über den Gasherd. Darauf briet sie Wurst und kochte Wäsche in einem blubbernden Zinkbehälter, in dem man bequem ein dickes Kind im Ganzen hätte kochen können. Sie fischte die tropfende Wäsche wie riesige Lappenkrebse mit einer großen Holzzange heraus, rubbelte sie auf einem Waschbrett, spülte sie, wobei große Schweißperlen von ihrem Gesicht drauftropften, und hängte sie an grauen hölzernen Wäscheklammern mit verblüffend starken Metallfedern in der Küche zum Trocknen auf. Die Küche verwandelte sich in ein Zeltlager, wo man sich zu meiner kindlichen Freude leicht verlaufen und einander tagelang suchen konnte. Dann erhitzte Großmutter die schweren gusseisernen Bügeleisen, bis sie Unheil verkündend rot glühten; die Unterseite der Bügeleisen leuchtete wie ein mystisches mittelalterliches Folterinstrument, das sie mit Hilfe eines Topflappens ergriff, um grimmig Papas Anzüge zu bügeln, die unter dem nassen alten Laken mit den rostroten Brandspuren, das in seinem zweiten Leben als Bügeltuch diente, zischten und heißen Dampf von sich gaben. Während ich jetzt an meinem »Macintosh« sitze, wird mir klar, wie die Wasch- und Bügelfabrik meiner Großmutter meine stilistische Gedankenarbeit angeregt haben muss. Großmutter hat den Zuber ihrer Energie über mir ausgeschüttet. Ich bin ihr Enkel.
    Sie fuhrwerkte in der Küche wie eine Verrückte, voller Seifenschaum, mit Verbrennungen, halb nackt, im rosa Büstenhalter, über Herzbeschwerden klagend, wonach sie entweder ein so kochend heißes Bad nahm, dass der Spiegel vor Hitze weinte, oder mit dem Notarzt ins Krankenhaus fuhr. Mama hielt sie für eine Simulantin. Wenn es Krach gab, knallte Großmutter so laut mit den Türen, dass die Fensterscheiben rausflogen. Mein freches Kindermädchen, Marussja Puschkina mit ihrem vor Staunen über das Leben immer fröhlichen Gesicht eines Dorfmädchens aus der Wolokolamsker Gegend, log mich dreist an: Das kommt vom Durchzug. Mama lebte unter Großmutters Besatzungsregime, verzog sich bei heftigen Auseinandersetzungen ins Bad und weinte still für sich, zog den Kopf ein, hatte aber nicht genug Kraft, Großmutter (Papas Protektorat) aus der Wohnung zu vertreiben.
    »Geben Sie dem Kleinen Grießbrei zu essen«, sagte Mama leise aus dem sowjetischen Wolkenkratzer, während sie in der Zeitschrift
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher