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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin
Autoren: Viktor Jerofejew
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des Militärattachés gearbeitet. Die Botschaftsangehörigen haben zuerst den ganzen Vorrat an einfachen Weinen ausgetrunken und anschließend die teuren. Gegen Ende haben sich zwei der siegreichen Diplomaten wegen einer Frau geprügelt.
    DOSTOJEWSKI Du warst diejenige welche.
    MAMA Man merkt gleich, dass Sie Dostojewski sind.
    Dostojewski runzelte die Brauen.
    DOSTOJEWSKI Ersäuf ihn.
    Der Vorschlag des Klassikers stimmte Mama nachdenklich.
    *
    Aus meinem Brief, geschrieben in Moskau, an die Eltern in Wien, fälschlicherweise mit dem Vorjahr datiert (was im Januar häufig passiert): 27 . 1 . 78 , tatsächlich: 27 . 1 . 79 . Der Ton des Briefs ist einlullend, der Inhalt die für einen Sohn typische Mischung aus Wahrheiten und Halbwahrheiten. Ein ziemlich schlauer Brief:
    Liebe Mama, lieber Papa,
    es hat sich eine Gelegenheit ergeben, Euch ein Briefchen zu schreiben und zu erzählen, was es bei uns so gibt. Oleshka ist der größte Optimist in unserer Familie – er plappert von Tag zu Tag mehr, spricht die Wörter lustig aus, verdreht fast gar nichts mehr und bildet einfache Sätze. Er geht in den Kindergarten, wo es ihm anscheinend gefällt und von wo er alle möglichen Kenntnisse mitbringt, insbesondere musikalische (beim Herumlaufen singt er). Weschtscha ist wie eh und je mit Arbeit überlastet, dünn und durchsichtig. Ich habe auch viel zu tun. Von einer Sache muss ich genauer erzählen. Im Laufe eines Jahres haben einige Moskauer Schriftsteller (darunter Bitow, Axjonow, Iskander und ich) einen literarischen Almanach vorbereitet, der aus experimenteller Prosa und Lyrik besteht. Kürzlich haben wir ihn zum Schriftstellerverband gebracht und zur Veröffentlichung angeboten. Unsere Initiative wurde – für uns ziemlich überraschend – mit großem Argwohn aufgenommen, der sich rasch zu einem eindrucksvollen Skandal entwickelte. Man schleifte uns zum Schriftstellerverband zwecks »Maßregelung« und zur Gehirnwäsche: Man war empört, stampfte mit den Füßen auf. Wegen der bekannten Namen (Achmadulina, Wosnessenski, Wyssozki u.a.) wurde der Skandal – inklusive »Maßregelung« – stadtbekannt, die ausländische Presse und Rundfunksender schalteten sich ein, und dann war die Hölle los. Es gab eine Sitzung des erweiterten Sekretariats des Schriftstellerverbands (ungefähr 70 Leute), auf der vier Stunden lang solche Leute wie Gribatschow, Shukow u.a. »Barbaren« uns beschimpften und drohten. Ich weiß nicht, wie sich die Dinge noch weiterentwickeln, aber meiner Meinung nach sind »sie« einfach verrückt geworden. Mir persönlich hat man auch ordentlich den Kopf gewaschen (im Verband und im Institut). Ich fürchte, unsere rein literarische Angelegenheit wächst sich (dank der Idiotie einiger eifriger Bewahrer des Konservatismus und der Stagnation) zu weiß der Teufel was aus. Ich schreibe Euch in der Hoffnung, dass Ihr auf das Geschehen mit vernünftiger Ruhe reagiert und meine (guten) Absichten versteht (und nicht nur meine, sondern auch die meiner Freunde). Wie sich am Verlauf der Dinge ablesen lässt, gewinnen leider die finsteren Kräfte die Oberhand, wenn sie mit ihrer Zügellosigkeit bis zum Äußersten gehen, wird aus dem Moskauer Skandal ein sehr großer werden (was jetzt passiert, erinnert, wie Augenzeugen meinen, teilweise an 63 ). Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Sache ein mehr oder weniger erträgliches Ende findet. Jedenfalls, unternehmt nichts ohne vorherige Absprache mit mir. Ich verstehe ja, dass Euch das alles sehr beunruhigen wird, aber nicht davon zu sprechen, das geht auch nicht mehr. Ich fühle mich ganz gut, obwohl ich reichlich Nerven verloren habe (und noch verliere). Andrjuschka und Weschtscha, die Ärmsten, regen sich auch schrecklich auf … Danke auch für die graubraune Cordhose … aber im Moment habe ich anderes im Kopf. Ich küsse Euch fest und lieb, berichte so bald wie möglich über die Entwicklung der Ereignisse. Weschtscha küsst Euch auch, Euer Viktor
    *
    Im beinahe hungernden Moskau der Nachkriegszeit rief meine Großmutter meine Mutter auf der Arbeit an, um ihr begeistert über mein Frühstück Bericht zu erstatten:
    »Vitjuscha hat eine ganze Dose schwarzen Kaviar aufgegessen!«
    Mama hatte eine interessante Arbeit. Sie las, was zu dieser Zeit niemand lesen konnte, wofür ein anderer auf der Stelle hätte erschossen werden können. Bescheidene Auserwählte, gottartig, der Geheimnisse des Universums teilhaftig, im Wolkenkratzer am Smolensker Platz sitzend, las sie
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