Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gute Mensch von Sezuan

Der gute Mensch von Sezuan

Titel: Der gute Mensch von Sezuan
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Flieger, sondern ein Dummkopf. Ich aber bin ein Flieger. Und doch bin ich der größte Dummkopf, denn ich habe alle Bücher über die Fliegerei gelesen auf der Schule in Peking. Aber eine Seite eines Buchs habe ich nicht gelesen und auf dieser Seite stand, daß keine Flieger mehr gebraucht werden. Und so bin ich ein Flieger ohne Flugzeug geworden, ein Postflieger ohne Post. Aber was das bedeutet, das kannst du nicht verstehen.
    SHEN TE Ich glaube, ich verstehe es doch.
    SUN Nein, ich sage dir ja, du kannst es nicht verstehen, also kannst du es nicht verstehen.
    SHEN TE halb lachend, halb weinend: Als Kinder hatten wir einen Kranich mit einem lahmen Flügel. Er war freundlich zu uns und trug uns keinen Spaß nach und stolzierte hinter uns drein, schreiend, daß wir nicht zu schnell für ihn liefen. Aber im Herbst und im Frühjahr, wenn die großen Schwärme über das Dorf zogen, wurde er sehr unruhig, und ich verstand ihn gut.
    SUN Heul nicht.
    SHEN TE Nein.
    SUN Es schadet dem Teint.
    SHEN TE Ich höre schon auf.
    Sie trocknet sich mit dem Ärmel die Tränen ab. An den Baum gelehnt, langt er, ohne sich ihr zuzuwenden, nach ihrem Gesicht.
    SUN Du kannst dir nicht einmal richtig das Gesicht abwischen. Er wischt es ihr mit einem Sacktuch ab. Pause.
    SUN Wenn du schon sitzen bleiben mußtest, damit ich mich nicht aufhänge, dann mach wenigstens den Mund auf.
    SHEN TE Ich weiß nichts.
    SUN Warum willst du mich eigentlich vom Ast schneiden, Schwester?
    SHEN TE Ich bin erschrocken. Sicher wollten Sie es nur tun, weil der Abend so trüb ist. Zum Publikum:
    In unserem Lande
    Dürfte es trübe Abende nicht geben
    Auch hohe Brücken über die Flüsse
    Selbst die Stunde zwischen Nacht und Morgen
    Und die ganze Winterzeit dazu, das ist gefährlich.
    Denn angesichts des Elends
    Genügt ein Weniges
    Und die Menschen werfen
    Das unerträgliche Leben fort.
    SUN Sprich von dir.
    SHEN TE Wovon? Ich habe einen kleinen Laden.
    SUN spöttisch: Ach, du gehst nicht auf den Strich, du hast einen Laden!
    SHEN TE fest: Ich habe einen Laden, aber zuvor bin ich auf die Straße gegangen.
    SUN Und den Laden, den haben dir wohl die Götter geschenkt?
    SHEN TE Ja.
    SUN Eines schönes Abends standen sie da und sagten: Hier hast du Geld.
    SHEN TE leise lachend: Eines Morgens.
    SUN Unterhaltsam bist du nicht gerade.
    SHEN TE nach einer Pause: Ich kann Zither spielen, ein wenig, und Leute nachmachen. Sie macht mit tiefer Stimme einen würdigen Mann nach. »Nein, so etwas, ich muß meinen Geldbeutel vergessen haben!« Aber dann kriegte ich den Laden. Da habe ich als erstes die Zither weggeschenkt. Jetzt, sagte ich mir, kann ich ein Stockfisch sein, und es macht nichts.
    Ich bin eine Reiche, sagte ich.
    Ich gehe allein. Ich schlafe allein.
    Ein ganzes Jahr, sagte ich
    Mache ich nichts mehr mit einem Mann.
    SUN Aber jetzt heiratest du einen? Den im Teehaus am Teich.
    Shen Te schweigt.
    SUN Was weißt du eigentlich von Liebe?
    SHEN TE Alles.
    SUN Nichts, Schwester. Oder war es etwa angenehm?
    SHEN TE Nein.
    SUN streicht ihr mit der Hand über das Gesicht, ohne sich ihr zuzuwenden: Ist das angenehm?
    SHEN TE Ja.
    SUN Genügsam, das bist du. Was für eine Stadt!
    SHEN TE Haben Sie keinen Freund?
    SUN Einen ganzen Haufen, aber keinen, der hören will, daß ich immer noch ohne eine Stelle bin. Sie machen ein Gesicht, als ob sie einen sich darüber beklagen hören, daß im Meer noch Wasser ist. Hast etwa du einen Freund?
    SHEN TE zögernd: Einen Vetter.
    SUN Dann nimm dich nur in acht vor ihm.
    SHEN TE Er war bloß ein einziges Mal da. Jetzt ist er weggegangen und kommt nie wieder. Aber warum reden Sie so hoffnungslos? Man sagt: Ohne Hoffnung sprechen heißt ohne Güte sprechen.
    SUN Red nur weiter! Eine Stimme ist immerhin eine Stimme.
    SHEN TE eifrig: Es gibt noch freundliche Menschen, trotz des großen Elends. Als ich klein war, fiel ich einmal mit einer Last Reisig hin. Ein alter Mann hob mich auf und gab mir sogar einen Käsch. Daran habe ich mich oft erinnert. Besonders die wenig zu essen haben, geben gern ab. Wahrscheinlich zeigen die Menschen einfach gern, was sie können, und womit könnten sie es besser zeigen, als indem sie freundlich sind? Bosheit ist bloß eine Art Ungeschicklichkeit. Wenn jemand ein Lied singt oder eine Maschine baut oder Reis pflanzt, das ist eigentlich Freundlichkeit. Auch Sie sind freundlich.
    SUN Da gehört nicht viel dazu bei dir, scheint es.
    SHEN TE Ja. Und jetzt habe ich einen Regentropfen gespürt.
    SUN Wo?
    SHEN TE
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher