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Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Titel: Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Marcus Thurner
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zogen erste Schnüre über die Garbenbündel, andere reichten Wasser, schmierten Klingen, sammelten Verlorengegangenes ein. Oder sie machten schöne Augen, um die Männer bei der Arbeit zu halten.
    Herr Attamay eilte von einer Furche zur nächsten. Er gab strenge Kommandos, wie es von einem Ratsmitglied des Dorfes erwartet wurde, und wenn es denn notwendig war, hieb er mit der Kartonade über Schenkel oder Oberarme, sodass rote Striemen die Verwarnten zierten. Mehr als zehn Blutstreifen pro Tag bedeuteten eine Kürzung des Anteils an den Ernteeinnahmen; niemand wollte diese Schande über sich ergehen lassen, und niemand konnte es sich leisten, wollte er seine Familie über die harten Wintermonate bringen.
    Die Sonne wanderte höher und höher in den azurblauen Himmel. Sie verspottete die Arbeitenden, indem sie ihre Kraft noch einmal verstärkte. Die Männer stöhnten laut unter der Hitze und vergaßen für eine Weile das Singen, bis Herr Attamay sie an die Gefahren aus den Höhen erinnerte. Die Frauen, diese sonst so wunderbar weichen und gut riechenden Geschöpfe mit blondem oder rotem Haar, nahmen die vermehrten Anstrengungen hin, ohne sich darüber zu beklagen. Sie waren zweifelsohne das stärkere Geschlecht, doch kein Mann hätte es jemals gewagt, dies vor seinen Freunden zuzugeben.
    Sie kamen gut voran. Herr Attamay hatte kaum Probleme mit den Arbeitern. Als die Sonne ihren höchsten Stand erreichte, musste er erstmals das Feuer in der Feld-Esse anheizen, den Amboss aufstellen und laut fluchend eine zersprungene Furchenklinge nachbearbeiten. Sie war spröde, das Metall kaum mehr als solches zu erkennen. Der von Dorf zu Dorf ziehende Metallhändler würde diesen Herbst ein einträgliches Geschäft mit ihnen machen. Der zu erwartende Überschuss aus den Geschäften mit der Stadt reduzierte sich soeben auf die Hälfte.
    Zwei Gesellen hielten die Furchenklinge mit ihren dicken Handschuhen übers rote Kohlenfeuer. Sie schwitzten wie Schweine – und hielten das massive Gerät dennoch fest. Wagten sie es, den Griff zu lösen, würde er sie mit der Zange bearbeiten und ihnen die Haut vom Fleisch ziehen.
    Da war der Riss. Er zeichnete sich deutlich ab. Die Hitze hatte die Kerbe verbreitert. Herr Attamay würde mit einem pfundschweren Stück guten Eisens nacharbeiten müssen, um die Klinge wieder einsetzbar zu machen.
    »Habt ihr nichts Besseres zu tun, als Maulaffen feilzuhalten?«, herrschte er jene Erntehelfer an, die sich ohne Arbeit wähnten, solange er seine Arbeit nicht erledigt hatte. »Helft bei den anderen Furchen! Bringt die Garben zum Lager! Holt Wassertröge herbei! Tut irgendetwas!«
    Die Menschen senkten die Blicke. Manche von ihnen waren erbost wegen seines rüden Umgangstons, andere schämten sich für ihr eigenes Verhalten. Es war ihm einerlei. Er urteilte nicht, nicht an diesem Tag.
    Herr Attamay packte die Eisenbrocken aus, suchte den geeignetsten aus und legte ihn ins Feuer. Geduldig wartete er, bis das Metall heiß wurde und sich allmählich verformte. Dann spuckte er in die Hände, packte seinen Schmiedehammer und hieb zu. Der Brocken plättete sich ein wenig. Es bedurfte mehrerer Dutzend Schläge, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen: eine vielleicht zentimeterdicke Fläche, armlang und handbreit, in der Mitte ein wenig stärker als an den Rändern.
    Die Furchenklinge glühte! Sie bekam viel zu viel Hitze! »Seht ihr das denn nicht, ihr Arschlöcher?«, fluchte er und hieß die Gesellen, das Werkstück weg vom Zentrum des Feuers zu schieben. Wie sollte er den beiden Burschen, die bereits die Grenze zum Halbmannsalter von achtzehn Jahren überschritten hatten, jemals mehr Verantwortung übergeben?
    Wolken schoben sich vor die Sonne, eine kühle Brise fuhr über die schmerzenden, von den Schlägen kribbelig gewordenen Arme. Herr Attamay atmete tief durch – und bekam einen Geruch in die Nase, der nicht hierhergehörte.
    Schweiß. Ausdünstungen, die sich in Lederrüstungen verfangen hatten. Es stank nach getrocknetem Blut. Nach Wildheit und Wut.
    Nach Krieg.
    Herr Attamay hielt inne und ließ den Hammer zu Boden fallen. Rings um ihn standen Bekannte, Verwandte, Freunde unschlüssig umher. Sie fühlten es ebenfalls. Gefahr war in Verzug, aber noch war nichts zu sehen.
    Sie hatten die meisten Warnschreier abgezogen, die sonst in den Wäldern ringsum Wache hielten. In Erntezeiten war es unabdingbar, den Schutz zu vernachlässigen und ein größeres Risiko einzugehen; doch sie hatten es ohne
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