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Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Titel: Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Marcus Thurner
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selbst eine Form von Magie beherrscht, oder war es ihre Schuld, dass das Entsetzen so sehr um sich griff? Dienten Terca, der Stumme Junge, die beiden Magicae und Pirmen als Resonanzkörper für die Trauer, die alle Anwesenden empfanden? Oder war es der Gottbettler selbst, der von der Situation überfordert war und nun seine Kräfte entweichen ließ?
    »Wir müssen weg von hier!«, sagte Pirmen zu Terca. Er wandte sich ihr zu, wagte aber nicht, sie direkt anzusehen. Vielleicht würde alles wieder gut werden, wenn er einfach stehen blieb und an nichts dachte, alle Gefahren ringsum tunlichst ignorierte.
    War es das, was der Gottbettler vorhatte? Wollte er sie allesamt aus seiner Aufmerksamkeit streichen und mithilfe seines Heers die völlig falsche Illusion eines Friedens schaffen?
    »Scht!«
    Die Hexe schob ihn beiseite und ging auf diesen einen Untoten zu, auf diese grässlich deformierte Gestalt. Pirmen folgte ihr. Er hatte keine Kraft mehr, eigene Entscheidungen zu treffen. Es würde hinter ihr hertrippeln und an nichts mehr denken.
    »Rudynar Pole«, murmelte sie und berührte den Untoten. Das faulige, verbrannte Fleisch, das fast schwarz war.
    Sein Teint war grün, die Narben der mannigfaltigen Nähte rosarot. Auch sie würden irgendwann nachdunkeln.
    »Ich kenne dich«, sagte das Geschöpf mit schwerer Zunge. »Ich kann mich an dich erinnern.«
    »Nein!«, schrie jemand, und Pirmen ahnte, dass es der Gottbettler war.
    »Du weißt, wer du bist, und du weißt, was wir hier zu tun haben?«
    »Ich bin … Ich war ein Krieger. Ich war euer Begleiter.« Der Untote verlor sich in unverständlichen Wortfolgen; erst nach einer Weile sprach er mit klarer Stimme weiter. »Ich bin der neue Heerführer, wie es Metcairn Nife befohlen hat.«
    »Du bist an sein Wort gebunden, ich weiß. Aber bist du auch dem Gottbettler verpflichtet?«
    »Ich bin … frei. Niemand befiehlt mir etwas.« Der Untote, der einstmals Rudynar Pole gewesen war, wischte mit einer Hand vor sein Gesicht, als wären da Spinnweben, die nur er sehen konnte. »Ich diene dem Heer, und es dient mir.«
    »Aber du erinnerst dich, warum wir gemeinsam die Reise hierher unternommen haben?«
    »Ich erinnere mich.«
    »Du weißt von der Prophezeiung und von deiner Rolle darin?«
    »Ich weiß davon.«
    »Dann bist du bereit, dem Gottbettler entgegenzutreten?«
    »Ja, das bin ich.« Er lachte, plötzlich von guter Laune gepackt, die endlich einmal erahnen ließ, dass tatsächlich ein Teil von Rudynar Pole in diesem zerstörten Körper steckte. »Ich werde diesem elenden Wicht den Arsch aufreißen!«, rief er, so laut, dass das Klagen ringsum abbrach und jedermann ihn anstarrte.
    Er setzte sich in Bewegung. Stapfte auf den Herrscher über die Blume von Oriath zu, der sich angemaßt hatte, den gesamten Weltenkreis nach seinen Vorstellungen gestalten zu wollen. Rudynar Pole holte unter dem Tuch, in das er gehüllt gewesen war, eine Totenmaske hervor, die er sich auf sein zerfetztes Gesicht setzte. Sie haftete seltsamerweise daran fest – und erwachte zum Leben. Sie strahlte Magie aus, so rein und natürlich, wie Pirmen sie niemals zuvor gespürt hatte. Die womöglich aus einer Zeit vor der Zeit stammte, Äonen überdauert hatte und von keinem Wesen benutzt worden war.
    Der Gottbettler griff an. Doch seine enorme Kraft wirkte angesichts seines neuen Gegners lächerlich. Einige Soldaten wollten sich auf seine Seite stellen, auch die beiden verbliebenen Magicae, die bisher versucht hatten, den enthaupteten Nontwede wiederzubeleben, doch Rudynar Pole wischte sie beiseite, als wären sie lästiges Ungeziefer.
    Terca, der Stumme Junge und Pirmen beobachteten das Unabwendbare. Pirmen schauderte angesichts der Macht, die diesem Wesen, das dem Großen Gleichmacher entrissen worden war, in seinem neu zusammengesetzten Körper zur Verfügung stand.
    Terca griff nach Pirmens Hand und der Stumme Junge nach der ihren. Jeder berührte den anderen, jeder fühlte, was der andere fühlte. Sie nahmen mit all ihren Sinnen Teil an einem Geschehen, wie es vor langer Zeit prophezeit worden war und nun zur Geschichte des Weltenkreises wurde.
    Ihnen selbst blieb nichts mehr zu tun. Sie hatten ihren Teil erledigt und hatten sich zu viert in die Höhle des Löwen gewagt, so wie es Terca geweissagt hatte.
    Der Gottbettler sah seinen Gegner nicht an. Womöglich dachte er sich eben weg aus dieser Welt, um seinen Geist ganz woanders umherschweifen zu lassen. Vielleicht war er bloß noch eine leere
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