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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass
Autoren: Philip Pullman
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festhielt, und vor Schmerzen und Kälte schrie. Er schrie den Namen seines Dæmons und den Lyras und rannte zu Lord Asriel und zerrte ihn am Arm, aber Lord Asriel stieß ihn zur Seite. Er versuchte es wieder, weinte und schluchzte, bat und flehte, aber Lord Asriel hörte ihm nicht zu und stieß ihn nur immer wieder zurück.
    Sie standen am Rand einer Klippe. Jenseits war nichts außer einer grenzenlosen Finsternis. Sie befanden sich tausend Fuß oder mehr über dem gefrorenen Meer. All das sah Lyra im Licht der Sterne. Doch dann, als Lord Asriel die Drähte zusammenschloß, erstrahlte die Aurora plötzlich wieder in hellem Glanz wie ein Energieblitz, der zwischen zwei Polen hin- und herzuckt, nur daß er hier tausend Meilen hoch und zehntausend Meilen lang war, ein fallender und steigender, wellenförmig sich fortpflanzender glorreicher Katarakt des Lichtes.
    Lord Asriel war der Herr des ganzen Spektakels…
    Oder er gewann daraus Energie, denn von einer riesigen Rolle auf dem Schlitten lief ein Draht geradewegs nach oben zum Himmel. Aus dem Dunkel stieß ein Rabe herunter, den Lyra als Dæmon einer Hexe erkannte. Eine Hexe half Lord Asriel, und sie hatte den Draht nach oben getragen.
    Die Aurora strahlte wieder.
    Lord Asriel war fast bereit.
    Er drehte sich zu Roger um und winkte ihn heran, und Roger gehorchte hilflos; er schüttelte den Kopf, flehte und weinte, aber er kam hilflos näher.
    »Nein! Lauf weg!« schrie Lyra und stürzte den Hang hinunter auf ihn zu.
    Pantalaimon sprang die Schneeleopardin an und entriß Rogers Dæmon ihren Fängen. Blitzschnell setzte die Leopardin ihm nach, und Pantalaimon ließ Rogers Dæmon los. Die beiden jungen Dæmonen wechselten die Gestalt und stürzten sich dann in den Kampf mit dem großen, gefleckten Tier.
    Die Leopardin schlug mit ihren nadelscharfen Krallen nach rechts und links, und ihr wildes Knurren und Fauchen übertönte sogar Lyras Schreie. Auch die beiden Kinder kämpften gegen sie oder vielmehr gegen die Gestalten in der trüben Luft, jene finsteren Absichten, die in Massen mit dem Staub auf sie herunterströmten.
    Und über ihnen wogten die Schleier der Aurora, deren unstetes Licht im einen Moment ein Gebäude, dann einen See oder eine Reihe Palmen beschien, so daß man den Eindruck hatte, man könnte einfach von dieser Welt in jene hinübertreten.
    Lyra sprang auf und packte Roger bei der Hand. Sie zog daran, und sie rissen sich von Lord Asriel los und rannten Hand in Hand weg, doch Roger schrie und wand sich, denn die Leopardin hatte seinen Dæmon wieder gepackt, und Lyra kannte die Folterqualen, die er litt, und versuchte anzuhalten…
    Aber sie konnten nicht mehr anhalten.
    Der Boden unter ihnen hatte sich in Bewegung gesetzt.
    Ein ganzes Schneebrett glitt unaufhaltsam nach unten…
    Auf das gefrorene Meer zu, tausend Fuß unter ihnen…
    »LYRA!«
    Ihr Herz raste…
    Ihre Hände klammerten sich aneinander…
    Und dann — Rogers Körper leblos in ihren Armen; und hoch über ihnen das größte Wunder.
    Die mit Sternen übersäte, weite Himmelskuppel bekam plötzlich, wie von einem Speer durchbohrt, ein Loch.
    Ein Lichtstrahl, ein Strahl reiner Energie, schoß nach oben wie ein Pfeil, der von der Bogensehne schnellt. Die Ströme farbigen Lichts der Aurora rissen mit einem knirschenden, mahlenden Geräusch auseinander, das von einem Ende des Universums zum anderen zu hören war, und mitten am Himmel erschien Land…
    Sonnenlicht!
    Sonnenlicht auf dem Fell eines goldenen Affen…
    Denn die Bewegung des Schneebretts war zum Stillstand gekommen, vielleicht hatte ein unsichtbarer Felsvorsprung es aufgehalten, und Lyra sah, wie über dem zertrampelten Schnee des Gipfels der goldene Affe aus der Luft auf die Seite der Leopardin sprang und wie die beiden Dämonen sich mit gesträubtem Fell und gespannten Muskeln mißtrauisch beäugten. Der Schwanz des Affen zeigte senkrecht nach oben, der Schwanz der Leopardin schlug machtvoll hin und her. Dann streckte der Affe vorsichtig eine Pfote aus, die Leopardin senkte in einer anmutigen Bewegung den Kopf, sie berührten sich…
    Und als Lyra aufsah, stand Mrs. Coulter selbst da, und Lord Asriel hatte die Arme um sie geschlungen. Licht umspielte die beiden, ähnlich den Funken und Strahlen einer gewaltigen anbarischen Energie. Lyra konnte nur ahnen, was geschehen war: Irgendwie mußte Mrs. Coulter über die Spalte gekommen und ihr hierher herauf gefolgt sein…
    Ihre Eltern, zusammen!
    Und in leidenschaftlicher Umarmung, nie
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