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Der glücklose Therapeut - Roman

Der glücklose Therapeut - Roman

Titel: Der glücklose Therapeut - Roman
Autoren: Noam Shpancer
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ins Zimmer trat, war er benommen von den Medikamenten. Sein Blick war leer und verschwommen. Statt mich zu begrüßen, fing er an, sich zu entschuldigen.
    » Ich habe die Kontrolle über den Wagen verloren « , sagte er. » Die Straße war glatt … und ich bin sowieso kein besonders guter Fahrer. Mimi sagt, ich solle damit aufhören. Ich kann mich nicht gut konzentrieren. Ich bin schnell verwirrt. Vor ein paar Tagen fand ich mich am Straßenrand wieder, ich hatte dort geparkt … und keine Ahnung, wie ich dort gelandet war. Vielleicht bin ich früher von der Arbeit weggegangen, weil sie mir dort alle auf die Nerven gehen, mich anstarren und hinter meinem Rücken über mich tuscheln. Es tut mir leid, Doktor. Ich wollte eigentlich gar nicht aus dem Haus, aber Mimi wollte so gern ein Eis. Das Wetter war gut, dann schlug es plötzlich um, und es fing an zu schütten. Ich hätte anhalten und abwarten sollen, bis es vorbei war « , sagte er. » Das wollte ich eigentlich auch, aber das Eis … es wäre geschmolzen, und was dann? Es tut mir leid, Doktor. Auf dem Heimweg war ich ganz durcheinander. Es fing an zu schneien, ich konnte nicht gut sehen. Der Wagen kam ins Rutschen, glaube ich … Aber mir geht es gut. Ich bin demnächst wieder draußen. Wirklich. Sie sagen … sie wollen mich die Nacht zur Beobachtung hierbehalten, nur um sicherzugehen. Morgen werde ich entlassen, sagen sie. Wir können uns nächste Woche wieder sehen. «
    Ich nickte, doch irgendetwas an seinem gehetzten, stockenden Geplapper, dem leicht mechanischen Ton berührte mich seltsam. Ich hatte das Gefühl, dass er etwas Auswendiggelerntes hersagte. Barry Long wusste wahrscheinlich, dass er, wenn er einen Selbstmordversuch eingestand – zu dem er ein Auto benutzt hatte –, zwangseingewiesen werden konnte, weil er sich und andere gefährdet hatte. Auch wenn er möglicherweise hatte sterben wollen, in die Psychiatrie eingewiesen werden wollte er eindeutig nicht. Barry Long hatte seine eigenen Prioritäten.

6
    B ei unserer nächsten Sitzung in meinem Büro suchte ich nach einer Eröffnung, nach einem Weg, zu Barry Long vorzudringen. Ich fragte ihn, was ihm Spaß mache. Er zuckte schwach mit den Schultern; ein Ausdruck von Verachtung und Überraschung huschte über sein Gesicht, als hätte ich ihn gerade darum gebeten, sich an etwas absolut Nebensächliches zu erinnern, etwa den Namen des neunten Präsidenten der USA .
    Er umklammerte sein Kissen, schaukelte sachte vor und zurück und sagte schließlich: » Früher … habe ich gerne gelesen, meist Science-Fiction, und Golf gespielt, obwohl das so teuer ist, dass ich selten gespielt habe, aber ich erinnere mich, wenn ich es getan habe, hat es mir Spaß gemacht. Aber ich weiß nicht, warum. Außerdem habe ich gesammelt … «
    » Was haben Sie gesammelt? «
    » Ich hatte eine Aufklebersammlung « , sagte er. » Und eine Comicsammlung. Ich habe Isolatoren gesammelt, diese gläsernen Dinger von den Telefonmasten. Die gibt es in allen möglichen Formen und Farben, wissen Sie. Ich habe immer auf Schrottplätzen und in Elektrogeschäften gesucht. Als ich klein war, hat mein Vater eine Weile bei einer Elektrizitätsgesellschaft gearbeitet. Manchmal hat er mich zur Arbeit mitgenommen. Er ist auf die Masten geklettert, wissen Sie. Manchmal hat er mir einen Isolator mitgebracht. Daran erinnere ich mich. Später hat er angefangen zu trinken, vielleicht hat er auch einfach weitergetrunken … «
    » Das alles sind Dinge, die Sie früher getan haben. Was machen Sie heute? «
    » Heute … heute komme ich von der Arbeit nach Hause, will niemanden mehr sehen und nichts unternehmen. Ich schaue fern, Zeichentrickfilme … das entspannt mich, und ich schlafe früh ein, auch wenn ich nicht richtig schlafe. Ich wache immer wieder auf. «
    » Nun « , sagte ich. » Das Erste, was Sie wissen müssen, ist Folgendes: Gefühle der Depression können nicht verändert werden, zumindest nicht sofort und unmittelbar. Es gibt keinen Zauberschalter. Wenn Sie sich deprimiert fühlen und ich sage: ›Barry, seien Sie glücklich‹, könnten Sie das dann? Natürlich nicht. Gefühle kann man nicht erzwingen. Man kann sie nicht direkt beeinflussen, genauso wenig, wie man direkt in die Sonne schauen kann. Gefühle müssen akzeptiert werden. Sie sind ein Mensch. Menschen fühlen gewisse Dinge. Zurzeit fühlen Sie sich deprimiert. Gut. Doch lassen Sie uns so tun, als säßen Sie auf dem Sofa und ich würde sagen: ›Barry, stehen Sie auf.‹
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