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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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nach, und ich hatte niemanden, an dem ich mich abreagieren konnte.
    So lachte ich bis zum Wohnheim stumpfsinnig vor mich hin, ich war froh, dass wir aus jenem Sitzungssaal beim Rektorat freigekommen waren, den ich mit klammem Herzen betreten hatte. Obwohl keine von uns auch nur im entferntesten etwas mit dem »Affenprozess« zu tun hatte, zerrte ich Marilena möglichst weit nach hinten. Ich hatte gehört, dass die Sitzungen, die hier stattfanden, sich jederzeit gegen einen selbst richten konnten, wenn man auf den Gedanken kam, irgendjemandem beizuspringen. In den Jahren davor waren hier welche verurteilt worden, die ihre Biographie gefälscht hatten, indem sie nach der Aufnahmeprüfung beim Ausfüllen der Kaderakte verheimlichten, dass ihre Väter im Gefängnis oder im Hausarrest saßen, als Unternehmer oder Großbauern enteignet worden waren, dass sie Verwandte im Ausland hatten oder Ähnliches mehr.
    Den Geschmack der Angst, der mir die ganze Sitzung über als Speichel den Mund zum Überlaufen brachte, weil ich ihn wegen der Knoten im Hals nicht hinunterschlucken konnte, kannte ich von daheim, von klein auf.
    *
    Zwar sollte der »Affenprozess« aussehen wie eine der Sitzungen zur Enttarnung der Feinde, die sich in unsere Reihen eingeschlichen haben , er begann jedoch mit einem langen und langweiligen Bericht, den Bucur stockend verlas und in dem die verkommenen, bestechlichen Elemente mit kleinbürgerlichen Mentalitäten und Neigungen angeprangert wurden. Es folgten vorgefertigte Wortmeldungen, die noch langweiliger waren, weil sie den Bericht Wort für Wort wiederholten. Eine von denen, die das Wort ergriffen, war natürlich auch unsere Domnica.
    Im Saal gab es keine Angeklagte, die mit tränengeröteten Augen aufgestanden wäre, um Selbstkritik zu üben. Die zwanzig »Affenweiber« aus dem Wohnheim, die für Geld gevögelt haben sollten, wurden in Abwesenheit verurteilt. Sie waren schon von ihren Eltern nach Hause geholt worden und in der hintersten Provinz verschwunden, woher sie gekommen waren, oder mochten, so das Gerücht, in irgendeinem Frauengefängnis sitzen.
    Auch nach sechs Stunden wussten wir nichts Neues über jenes Luxusbordell, das unter dem Vorwand von Samstagabendpartys funktioniert haben sollte und von dem seit etwa einem Monat im Wohnheim gemunkelt wurde.
    *
    Als wir aus dem Amphitheater hinausdrängelten, nahm mich Domnica zur Seite, um mir, nur mir, zuzuraunen: »Da hat die Nana aber Schwein gehabt, dass die Bujes sie von der Liste gestrichen haben! Was glotzt du so? Was meinst du denn, wo sonst hätte sich eine wie Nana eine wohlversorgte Lusche wie den Silviu angeln sollen?«
    Da ich sie weiter entgeistert anstarrte, machte sie eine wegwerfende Handbewegung, die besagte: Da hab ich mir aber gerade die Richtige zum Reden ausgesucht! Und weil Marilena näher kam, flüsterte sie mir zu: »Die Nana hat uns gegenüber auf vornehm gemacht, dabei ist sie eine große Hure!«
    Wenn sie es gesagt hatte, damit ich es weitersagte, hatte sie sich die Falsche ausgesucht, denn das tat ich gerade nicht, auch wenn ich mich ein Leben lang an ihre Einflüsterung erinnern sollte. Ich schwieg, einmal Nana zuliebe, aber auch, weil ich Domnica misstraute, aus Klassenhass eben, was will man machen! Gleich im ersten Semester, als wir uns noch gar nicht kannten, war Domnica ins Büro des Kommunistischen Jugendverbandes gewählt worden, dabei waren die Vorschläge von langer Hand vorbereitet. Und als ich dann, nachdem Vater sich endlich entschlossen hatte, zu Mutter zurückzukehren, zur Kaderabteilung bestellt wurde, wurde mir klar, dass Domnica nicht nur mit meiner Kaderakte vertraut war, sondern auch über meine Familie bestens Bescheid wusste, über die ich, von klein auf dazu getrimmt, im Zimmer kein Sterbenswörtchen gesagt hatte.
    Vielleicht hielt ich Nana auch die Stange, weil das meinem Autismus entsprach, der sich anderen gegenüber nicht immer nur als Gleichgültigkeit äußert, sondern auch, wie ich mir sage, wenn ich nicht allzu streng mit mir bin, als Zartgefühl.
    Nana erschien nach den Frühjahrsferien, dünn wie ein Strich und mit blaugeränderten Augen, sie trug denselben Namen, aber auch einen Ehering am Finger. Sie war zurückhaltender als früher, schluckte Beruhigungs- und Schlafmittel und ging eine Zeitlang am Samstagabend nicht tanzen. Silviu war bei seinen Eltern, die an unserer
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