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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon
Autoren: Nicci French
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den Schweiß, von der harten körperlichen Arbeit, die Tränen, die schlammige Erde, in der das Skelett gelegen hatte.
    »Gut. Dann muß ich mich allerdings sofort um das Fleisch kümmern.«
    Ich zerrieb Rosmarin über den halbfertigen Lammbraten und schob ihn in den Ofen. Zu meiner Verwunderung leistete Claud mir weiterhin Gesellschaft, obwohl er doch sicher alle Hände voll zu tun hatte. Er lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und drehte einen Pilz in seinen Fingern hin und her.
    »Sie halten uns für verrückt.«
    »Wer?«
    »Die Leute aus der Gegend. Sie essen nur die Pilze in den Schachteln, die man in den Supermärkten bekommt.
    Aber es ist doch klar, was sie abstößt. Die Pilze sehen ein bißchen aus wie Fleisch, findest du nicht auch? Alles andere als bekömmlich.«
    Claud strich mit dem Finger über den Pilz.
    »Pilze haben kein Chlorophyll. Sie können den Kohlenstoff nicht selbst erzeugen und müssen sich von anderen organischen Stoffen ernähren.«
    »Ist das nicht bei allen Pflanzen so?«
    »Es macht mir manchmal Sorgen, dich so reden zu hören«, bemerkte er mit traurigem Unterton in der Stimme, und schlagartig wurde mir klar, daß ich mich ab jetzt nicht mehr darüber zu ärgern brauchte.
    »Wie geht es Martha? Hast du mit ihr gesprochen?«
    »Mutter geht es wunderbar«, entgegnete Claud.
    Der Ton seiner Stimme ließ keinerlei Zweifel daran, daß ich mich heraushalten sollte. Gerade wollte ich ebenso kühl antworten, als Peggy mit roten Wangen und verdreckten Wollsocken in die Küche stürmte. Sie schnappte sich ein Glas und eine Flasche Whisky und lief wieder hinaus.
    »Peggy«, rief Claud ihr nach, »vergiß nicht, wir essen in ungefähr einer Stunde, und dann gibt es jede Menge Wein!«
    »Claude!« zischte ich vorwurfsvoll, doch Peggy besaß ein großes Selbstbewußtsein. Ich hörte sie nur verächtlich schnauben, während sie die Treppe hochstapfte. Claud wandte sich wieder mir zu und erkundigte sich ausnehmend freundlich: »Alles in Ordnung, Jane?«
    In diesem Moment stürzte Erica herein – eine Wolke von Parfüm, purpurrote Fingernägel und kupferfarbene Locken.
    »Claud, endlich hab ich dich gefunden. Theo braucht dringend deine Hilfe. Im oberen Stockwerk müssen unbedingt Betten umgestellt werden. Jane, mein Engel, kann ich dir was helfen?«
    Sie hatte sich bereits zum Abendessen umgezogen. Ihr langer, geschlitzter Rock schleifte über den Boden, die auberginefarbene Seidenbluse bauschte sich über ihrem üppigen Busen, Armreifen klimperten an ihren Handgelenken, lange Ohrringe baumelten ihr fast auf die Schultern. Verglichen mit der armen Peggy und ihrer trägen, demonstrativen Nachlässigkeit wirkte sie wie eine exotische Pflanze.
    »Peggys kleine Mädchen haben sich gerade in den Schuppen verdrückt«, kicherte sie nun. »Ach, noch mal fünfzehn sein und in einem Schuppen rauchen. Himmel, was für ein seltsamer, schrecklicher Tag. Arme Natalie.
    Ich meine, man kann doch sicher davon ausgehen, daß es Natalie ist und nicht irgendein archäologisches Überbleibsel. Sie ist es bestimmt, und ihr habt allen Grund, euch mies zu fühlen. Ich empfinde den Tod von Kindern ganz anders seit der Sache mit Rosie, weißt du. Natürlich hätte es mir vorher auch was ausgemacht, aber jetzt würde ich mich wahrscheinlich umbringen. Frances und Theo meinen, daß es für Martha und Alan eine Erleichterung ist.
    Aber ich frage mich, ob das stimmt.«
    Sie tauchte ihre Krallen in eine Schüssel mit Oliven und schob gedankenverloren ein paar in ihren großen roten Mund.
    Claud begann systematisch die Flaschen zu entkorken, bis acht aufgereiht nebeneinander standen. Ich rieb Parmesankäse in die dampfende Pfanne mit Pilzrisotto und fügte ein Stück ungesalzener Butter hinzu – nicht aus dem Kühlschrank, sondern aus der Speisekammer, wie sich das für Butter gehört. Ich hatte mir immer eine Speisekammer gewünscht. Vor dem Fenster sah ich Theo und seine Frau Frances groß und elegant vorbeigehen. Frances redete lebhaft auf ihn ein; ihre Augen wirkten hart, aber ich konnte weder ihre Worte hören noch Theos Gesicht sehen.
    Plötzlich drehte mein Schwager den Kopf zu mir und sah mir geradewegs in die Augen.

    Wenn ich auf Stead bin, bewohne ich dasselbe Zimmer wie damals in meiner Kindheit. Natalie und ich stritten uns früher eher wie Schwestern denn als Freundinnen darum, wer in dem Bett am Fenster schlafen durfte, wobei Natalie sich gewöhnlich durchsetzte. Sie war hier zu Hause, es war ihr Zimmer, ihr Bett.
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