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Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)

Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)

Titel: Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Autoren: Penny Jordan
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sie Mühe hatte, aufrecht zu sitzen.
    Sie verabscheute die Ausstattung des Zimmers. In seiner edwardianischen Schwere war es überwältigend und einschüchternd, von der braunroten Tapete und den dazu passenden Möbelstoffen aus Samt bis hin zu den auf Hochglanz polierten Mahagonimöbeln.
    Die meisten Menschen beschrieben ihre Großmutter als »formidabel«, doch Amber kamen andere Charakterisierungen in den Sinn: förmlich, furchteinflößend, furchterregend . Ihre Mutter und ihr Vater hätten keine Angst, ermahnte sie sich und atmete tief durch.
    »Das wollte ich schon immer.«
    Ihre Worte, mehr beklommen denn trotzig, fielen in das kalte Schweigen, in dem der Raum erstarrt war, obwohl in dem marmornen Kamin ein anständiges Feuer loderte. Er war aus Carraramarmor aus den berühmten Steinbrüchen in Italien, ausgewählt wegen seiner Perfektion, genau wie alles im Leben ihrer Großmutter. Nicht dass sie Freude an dem handwerklichen Können gehabt hätte, für sie zählte allein der Status, den sein Besitz ihr verlieh.
    »Du bist siebzehn Jahre alt, Amber, viel zu jung, um zu wissen, was gut für dich ist.«
    Die Worte ihrer Großmutter pflanzten Angst in Ambers Herz, worauf sie in Panik geriet und herausplatzte: »Das haben meine Eltern sich für mich gewünscht. Mein Vater hat oft davon gesprochen, und wenn ich heirate, dann nur jemanden, den ich liebe und der mich so sehr liebt, wie mein Vater meine Mutter geliebt hat.«
    Zu spät bemerkte sie, dass das ein Fehler gewesen war. Die Züge ihrer Großmutter waren zu einer eisigen Maske erstarrt.
    »Dein Vater? Dein Vater, Amber, war ein mittelloser Einwanderer, der deine Mutter ihres Geldes wegen geheiratet hat – genauer gesagt meines Geldes wegen.«
    Wie immer, wenn sie wütend war, war die Stimme ihrer Großmutter zu einem kaum hörbaren Flüstern geworden, das trotzdem in den Ohren dröhnte.
    Doch um ihren Vater zu verteidigen, würde Amber ihre Angst vor dem Zorn ihrer Großmutter überwinden.
    »Das stimmt nicht.Vater hat Mutter geliebt.«
    Blanche ignorierte sie und fuhr unbarmherzig fort: »Ich habe sie gewarnt, was passieren würde, wenn sie sich mir widersetzte und ihn heiratete, und ich hatte recht. Als er seine Arbeit verlor, ist sie zu mir gekommen und hat mich angefleht, ihm Arbeit zu geben. Dein Vater hat meine Tochter nicht geliebt. Mein Geld und meine Fabrik hat er geliebt.«
    »Er hat sie sehr wohl geliebt. Sie waren glücklich. Das hat Mutter gesagt. Sie hat gesagt, mein Vater sei begabt gewesen, ein wahrer Künstler.«
    »Er war nichts als ein drittklassiger Versager und hätte die Fabrik mit seinen lächerlichen Ideen zugrunde gerichtet, wenn ich es zugelassen hätte.«
    Amber hatte das Gefühl, als müsste sie würgen. Ihr war klar, dass sie viel zu hitzig war, während ihre Großmutter ruhig und kalt blieb. Ihre Eltern hatten einander geliebt, das wusste sie. Bevor die Londoner Fabrik, in der ihr Vater gearbeitet hatte, geschlossen worden war, war das kleine Haus erfüllt gewesen vom Lachen ihrer Eltern. Amber konnte sich daran erinnern, dass ihr Vater seine Freunde mit nach Hause gebracht hatte, Künstler wie er, die um den Küchentisch ihrer Mutter gesessen, ihre Suppe gegessen und geredet hatten. Das waren sehr glückliche Zeiten gewesen, die Amber in ihrer Erinnerung hütete.
    Als die Eltern gezwungen gewesen waren, zurück nach Macclesfield zu ziehen, hatten sie nicht mehr so oft gelacht, doch das Haus, das ihre Eltern gemietet hatten, statt bei ihrer Großmutter in Denham Place zu leben, war immer noch von Wärme und Liebe erfüllt gewesen. Ihr Vater hatte gerne gelesen, und an Winterabenden hatten sie gemeinsam am Kamin gesessen, und er hatte vorgelesen, oft aus einer von Charles Dickens’ wunderbaren Geschichten, die vor dem Hintergrund der schrecklichen Lebensumstände der Armen spielten. Wie konnte ihre Großmutter es wagen, die Erinnerung an diese Liebe zu zerstören, indem sie ihre Existenz leugnete?
    Ihre Großmutter irrte sich auch, wenn sie behauptete, Ambers Vater hätte die Firma in den Ruin getrieben. Er hatte sie gerettet. Wegen seiner Stoffentwürfe hatten die Werksvertreter von Denby Mill aus London berichten können, dass ihre neuen Seidenstoffe schon wenige Tage nach Auslieferung verkauft waren und bereits die ersten Nachbestellungen eingingen. Es hatte um seine Entwürfe und seinen Wunsch, der Arts-and-Crafts-Bewegung zu folgen, heftige Auseinandersetzungen gegeben, denn ihre Großmutter war gegen jede Veränderung und
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