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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen
Autoren: Hagena
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gelangte man wieder an eine Tür, eine grüne Holztür, und
     die ging dann ganz hinaus, nach hinten in den Obstgarten. Wandte man sich aber
     gleich nachrechts, und das tat ich, kamen die Wirtschaftsräume.
     Als Erstes öffnete ich die Tür zur Waschküche, in der früher mal ein Plumpsklo
     gewesen war, heute gab es dort aber nur zwei riesige Gefrierschränke. Beide leer,
     mit offenen Türen, die Stecker lagen daneben.
    Von hier aus führte eine schmale Stiege auf jenen Boden,
     auf dem mein Großvater zu spuken pflegte. Hinter der Waschküche kam noch das
     Kaminzimmer. Früher war es der Vorraum zum Wintergarten gewesen, voll von Übertöpfen
     und Blumenständern, Gießkannen und Klappstühlen. Es hatte einen hellen Steinfußboden
     und ziemlich neue Schiebetüren aus Glas, die bis auf den Boden reichten und hinaus
     auf die Terrasse führten. Dort lagen die gleichen Steinplatten wie drinnen. Die
     Zweige der Trauerweide streiften die Platten und verdeckten den Blick auf Freitreppe
     und Haustür.

    Ich setzte mich auf das Sofa neben dem schwarzen Kamin und
     schaute nach draußen. Vom Wintergarten war nichts mehr zu sehen, er war ein
     durchsichtiges, elegantes Konstrukt gewesen, das so gar nicht zum robusten
     Backsteinhaus passen mochte. Nur Glas und ein Stahlskelett. Tante Harriet hatte es
     vor dreizehn Jahren entfernen lassen. Nach Rosmaries Unfall. Allein die hellen
     Steinplatten, die eigentlich zu empfindlich waren für draußen, erinnerten an den
     gläsernen Anbau.
    Plötzlich merkte ich, dass ich es nicht haben wollte,
     dieses Haus, es war längst kein Haus mehr, es war nur noch eine Erinnerung, genau
     wie dieser Wintergarten, den es nicht mehr gab. Als ich aufstand, um die
     Schiebetüren zur Seite zu drücken, spürte ich, wie klamm meine Hände waren. Es roch
     nach Moos und Schatten. Ich schob den Spalt wieder zu. Der ausgebrannte Kaminströmte Kälte aus. Miras Bruder würde ich sagen, dass ich das
     Erbe nicht antreten wollte. Aber jetzt musste ich raus hier, raus und zur Schleuse
     am Fluss. Schnell stand ich auf, lief zurück in die Diele und suchte im Gerümpel
     nach einem funktionstüchtigen Fahrrad. Die neueren waren alle in schlechtem Zustand,
     einzig Großvaters ganz altes schwarzes Rad ohne Gangschaltung musste nur kurz
     aufgepumpt werden.

    Ich konnte aber erst los, nachdem ich eine lange und
     verschlungene Runde durchs Haus gegangen war, um Türen von innen abzuriegeln, dann
     wieder durch andere Türen hinauszugelangen, die von außen abschließbar waren, und so
     kam ich in weiten Kreisen endlich in den Garten. Bertha hatte sich noch lange im
     Haus zurechtgefunden.Schon als sie nicht mehr zur Mühle gehen konnte, ohne sich zu
     verirren, fand sie von der Waschküche sofort ins Badezimmer, auch wenn die eine oder
     andere Durchgangstür auf dem Weg dorthin gerade von der anderen Seite verschlossen
     war. Über die Jahrzehnte hatte sie sich das Haus ganz einverleibt, und wenn man sie
     obduziert hätte, dann hätte man bestimmt anhand der Windungen ihres Gehirns oder des
     Aderngeflechts ihres Blutkreislaufs einen Wegeplan durchs Haus erstellen können. Und
     die Küche war das Herz.

    Die Esssachen von der Tankstelle hatte ich in einen Korb
     gelegt, den ich auf dem Küchenschrank gefunden hatte. Der Henkel war gebrochen, also
     klemmte ich ihn auf den Gepäckträger und schaffte das Rad von der Diele hinaus durch
     die Tür in den Garten, die alle Küchentür nannten, obwohl sie gar nicht aus der
     Küche führte, sondern nur von der Küche aus zu sehen war. Die Zweigeder Weide streiften meinen Kopf und den Lenker. Ich schob es an der Freitreppe
     vorbei, dann rechts am Haus entlang, knöcheltief durch Vergissmeinnicht. An einem
     der Haken neben der Haustür hatte ich zuvor einen flachen Edelstahlschlüssel
     entdeckt, und weil die einzige neue Tür das verzinkte Gatter zur Einfahrt war,
     probierte ich ihn jetzt aus. Eifrig drehte sich der Schlüssel einmal um die eigene
     Achse, und dann stand ich auf dem Bürgersteig.

    Hinter der Tankstelle bog ich links auf den Weg zur
     Schleuse ein, fast wäre ich mit Hinnerks schwerem Fahrrad auf dem Sand in der Kurve
     ausgerutscht, fing mich aber im letzten Moment und trat fester in die Pedale. Die
     Federn unter dem Ledersattel quietschten fröhlich, als der Asphalt langsam löcherig
     wurde und sich bald in einen Schotterfeldweg verwandelte. Ich kannte diesen Weg, der
     sich schnurstracks durch die Kuhweiden zog. Ich kannte die
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