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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn
Autoren: Birgit Fiolka
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sich langsam vom Schreck des Trittes erholt zu haben schien; sie starrte der dunkelhäutigen Frau in das fleischige Gesicht und die kalten Augen. In ihrer großen Hand hielt sie einen biegsamen Stock, gleich einer Weidenrute. „Wie du befiehlst, Herrin“, antwortete die Schwarze in kehligem Akzent. Dann packte sie Neaira mitleidlos am Arm und schleifte sie mit sich, immer weiter fort von der Freiheit verheißenden roten Tür.
    Es war nicht der Schmerz, der wie Feuer brannte, und auch nicht die Angst vor den weiteren angedrohten Schlägen, die Neaira zittern ließen, während die Schwarze sie vor sich hertrieb. Es war die Gewissheit, sich immer weiter von der Tür zu entfernen, durch die Nikarete sie gezogen hatte – immer weiter fort von ihrer Mutter. Je weiter die Schwarze sie in das Haus trieb, desto schaler wurde der Geruch.
    Einmal musste sie husten, weil die Trockenheit der Luft ihr im Hals kitzelte. Idras zog ihr Mündel weiter, trieb Neaira zunächst durch einen langen Korridor, dessen Wände rot getüncht waren, ehe sie um eine Ecke bogen, die in einem schmucklosen mit Steinen gepflasterten Hof mündete, von dem aus zur Rechten und zur Linken Zimmerfluchten zu sehen waren. Neaira blieb wie angewurzelt stehen und starrte zur Sonne hinauf. Wenn es ihr gelingen würde über die Zimmerfluchten zu klettern und auf der anderen Seite heil hinunter zu gelangen, wäre sie frei. Idras schien ihre Gedanken zu erraten und grinste boshaft. „Denk nicht einmal daran“, flüsterte sie mit ihrer kehligen Stimme und fuhr sich mit dem Stock über den Hals als würde sie ihn aufschlitzen. Neaira begann zu weinen.
    Hier und da spähte ein junges Mädchen aus einer der Türen, das neugierig war, was es wohl mit dem Geheule im Hof auf sich hatte. Einige der Mädchen hielten Spindeln in den Händen oder einen Korb mit Wolle. Nur kurz hoben sie die Brauen als sie das weinende Kind entdeckten. Als sie Idras sahen, verschwanden ihre Köpfe wieder in ihren Zimmern. Idras schubste Neaira zu einem Durchgang im hinteren Teil des Hofes, von wo aus ein kurzer Korridor zu weiteren Zimmerfluchten führte. Hier veränderte sich der Geruch und bekam etwas Beißendes. Wieder sah Neaira sich vorsichtig um, fand jedoch keinen Fluchtweg. Bei einer von außen verriegelten Tür blieb Idras schließlich stehen, um sie zu öffnen und Neaira hineinzustoßen.
    Hinter Neaira fiel die Tür mit einem lauten Knall zu, während sie stolperte und mit den Knien auf dem harten Steinboden aufschlug. „Aua“, jammerte sie und rieb sich die aufgeschürften Knie. Beim Fall war ihr Chiton zerrissen, und sie hätte am liebsten vor Wut geschrieen.
    Was erlaubte sich die Schwarze überhaupt? Sklaven schlugen keine kleinen Mädchen!
    Neaira hielt sich die Nase zu, als sie bemerkte, dass der beißende Geruch, den sie bereits auf dem Flur vor der Tür wahrgenommen hatte, jetzt ein ekelerregender Gestank war. Ungelenk stand sie auf und erschrak, da einige Augenpaare auf sie gerichtet waren. Schnell wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Große Kinderaugen musterten Neaira wie ein seltsames Tier, einige ältere Mädchen hatten bereits das Interesse verloren. Sie hatten sich auf die Polster eines steinernen Schlafpodestes gedrängt, das kaum genug Platz für sie alle bot. Neaira zog ihre Rotznase hoch und wich einen Schritt zurück Sie stanken ... ihre Chitone waren fleckig und verschwitzt, das Haar klebte ihnen strähnig im Gesicht. Einige der kleineren Kinder hatten sich und ihre Chitone vollgepinkelt. Neaira ging zurück zur Tür und hämmerte dagegen. Wie lange waren sie hier schon eingesperrt, und warum hatte ihre Mutter sie hier gelassen, bei dieser grausamen Idras und der gemeinen Nikarete? Sie wollte raus und schrie nach Leibeskräften, damit die Schwarze zurückkäme. Dieser Raum war zu voll, als dass man einen weiteren Bewohner willkommen geheißen hätte.
    Als die Schwarze nicht kam, schob Neaira trotzig die Unterlippe vor und erwiderte den Blick der anderen Mädchen. Drei von ihnen schienen in Neairas Alter zu sein, zwei von ihnen waren junge Frauen, eine weitere stand an der Schwelle zur Frau. Es gab keine Fensteröffnung, sondern nur eine Spalte über der Tür, durch die spärliches Licht und viel zu wenig frische Luft einfielen. Was sollte sie jetzt tun?
    Eines der Mädchen, es hatte ein hübsches Gesicht mit weichen Zügen und helles Haar in der Farbe reifer Gerste, sprang vom Lager und kam zu ihr. Unter dem Gestank von Schweiß und dem Urin der
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