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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas
Autoren: Antje Babendererde
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Ich schätzte sie auf Mitte dreißig und fand sie ausgesprochen hübsch. Dunkle Haut, schwarz glänzende lange Haare, schräge dunkle Augen. Als wir nach den Zimmerpreisen fragten,machte sie uns ein Angebot: Wir konnten zwei frisch renovierte Zimmer im Erdgeschoss haben, mit holzverkleideten hellen Wänden, bedruckten Vorhängen, einem Fernseher und neuem Mobiliar. Diese Zimmer waren allerdings erheblich teurer als die anderen im ersten Stock, die sie uns danach zeigte: Sie waren abgewohnt, das Holz an den Wänden war stark gedunkelt und es roch nach abgestandener Luft. Dafür waren sie bezahlbar und der Ausblick war besser. Vom breiten Treppenaufgang aus, der sich wie eine Veranda um die obere Etage zog, hatte man einen Blick auf die Wälder hinter dem Ort und konnte gleichzeitig den Hafen sehen.
    Die Indianerin erklärte uns, dass sie das Motel erst vor anderthalb Jahren gekauft hatte und es nun nach und nach renovieren ließ. »In Ordnung sind die oberen Zimmer trotzdem«, sagte sie ein wenig brüskiert, als sie Papas Zögern bemerkte.
    Mein Vater nickte. »Wir nehmen diese beiden«, sagte er. »Für drei Wochen.«
    Freda Ahdunko riss überrascht die schwarzen Augen auf. »Das ist ziemlich lange für einen Ort wie Neah Bay!«, sagte sie. Ich merkte, dass sie gerne gewusst hätte, was wir vorhatten, aber sie hütete sich davor, neugierige Fragen zu stellen.
    Mein Vater war guter Laune und beantwortete ihr die unausgesprochene Frage. »Ich bin Fotograf und soll für einen Bildband Aufnahmen vom Makah-Stammesfest machen.«
    Â»So, so.« Ein kurzes Zögern. »Und da kommen Sie schon jetzt?«
    Â»Warum nicht?« Papa schien dieses Gespräch irgendwie zu amüsieren. »Es wird in diesem Buch auch Bilder vom Regenwald und von der Küste geben. Meine Tochter und ich werden unsere Ausflüge eben von hier aus machen. Ich wollte nur sichergehen, dass wir auch eine ordentliche Unterkunft finden. Zu den Festtagen soll hier ja alles ausgebucht sein.« Er schmunzelte in sich hinein.
    Freda sah ihn schräg von der Seite an, und als sie merkte, dass er scherzte, sagte sie: »Na, die ordentliche Unterkunft ist Ihnen auf jeden Fall sicher.« Sie lächelte versöhnlich und ich sah, dass sie nicht nur hübsch, sondern schön war. Das warme Leuchten in ihren dunklen Augen erinnerte mich an meine Mutter.
    Â»Aber Sonnenschein kann ich nicht garantieren«, meinte sie spöttisch. »Ich hoffe, Sie wissen, worauf Sie sich da eingelassen haben.Man nennt diesen Landstrich auch >die Regenküste<.«
    Â»Hab schon davon gehört«, sagte mein Vater. »Wir werden versuchen damit zurechtzukommen.«
    Papa und Freda gingen in das kleine Büro des Motels zurück, um die Formalitäten zu erledigen, und ich bezog mein Zimmer. Es war klein und die Holzvertäfelung war so dunkel, dass ich auch am Tag Licht anmachen musste, um etwas zu sehen. Das waren keine guten Voraussetzungen zum Malen, aber ich musste damit zufrieden sein. Wenn es nicht regnete, konnte ich mich auch unten auf die Wiese oder vor mein Zimmer setzen. Der Aufgang aus Zedernplanken war breit genug und es sah so aus, als ob im Augenblick außer uns niemand weiter im Motel wohnte.
    Ich packte meine Sachen in den Kleiderschrank, dessen Türen beim Öffnen unangenehm quietschten. Im Inneren des Schrankes roch es überraschend gut und ich entdeckte, dass ein kleines Stoffbeutelchen darin lag. Ich nahm es in die Hand, fühlte und roch daran. Was ich ertastete, waren aromatische Holzspäne – ausgelegt wie ein kleiner Willkommensgruß!
    Die übrige Einrichtung des Zimmers war einfach, aber gemütlich. An der einen Wand stand ein kleiner Schreibtisch, davor ein gepolsterter Stuhl, dessen Stoffbezug fadenscheinig und an einigen Stellen geflickt war. Aber die Matratze des breiten Bettes war in Ordnung und die Bettwäsche roch frisch nach Waschpulver.
    Das kleine Bad mit Waschbecken, Toilette und Duschkabine hätte dringend neue Fliesen gebraucht und einen Spiegel, in dem man sich auch sehen konnte, aber es war sauber und frische Handtücher lagen auch bereit. Ich war nicht verwöhnt und hatte keine Schwierigkeiten, mich anderen Gegebenheiten anzupassen, wenn ich irgendwo Gast war. Hauptsache, ich hatte meine Ruhe.
    Mit einigem Kraftaufwand öffnete ich das große Fenster, das mit einem Fliegengitter gesichert war. Die Tür stand noch offen
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