Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes
Autoren: Christoph Lode
Vom Netzwerk:
gereizt. »Anne, oder Margerit, wusste von Anfang an, woran sie bei mir war. Ich habe ihr nichts versprochen, das sie nicht auch bekommen hat.«
    »Sicher. Daran zweifle ich nicht«, sagte sein Bruder ruhig und musterte ihn lange. Er war einunddreißig Jahre alt, drei Jahre älter als Raoul, und sein schwarzes Haar war bereits von einigen grauen Strähnen durchsetzt. Im Gegensatz zu Raoul, der es kurz trug, fiel es Jacques bis auf die Schultern. Sie kamen beide nach ihrem Vater: blaue Augen, hell wie Eiskristalle, am Kinn einen kurzen Bart, der jede Woche sorgfältig geschnitten wurde, ein schlankes Gesicht. Raoul hatte außerdem die vorspringenden Wangenknochen ihrer Mutter geerbt, wodurch sein Gesicht fast hager wirkte. Er selbst hielt es für durchschnittlich, obwohl viele Frauen anderer Meinung zu sein schienen. Mit seinen dreieinhalb Ellen war er etwas größer als die meisten Männer des Tals, aber eine Handbreit kleiner als Jacques.
    »Du solltest heiraten«, fuhr sein Bruder fort. »Weiber, Turniere, Feste … soll das ewig so weitergehen?«
    »Du hörst dich an wie Blaise.«
    »Er hat recht. Du benimmst dich wie ein frühreifer Page. Willst du mit dem Erwachsenwerden warten, bis du sechzig bist?«
    Raoul grinste. »Ein Langweiler in der Familie genügt, Jacques …« Er wollte seinen Spott noch weitertreiben, aber ein neuer Hustenanfall hinderte ihn daran. Er wandte sich von Jacques
ab und hustete in die Armbeuge. Erleichtert stellte er fest, dass er diesmal kein Blut spuckte.
    Der Ärger in Jacques’ Gesicht verschwand augenblicklich. So war es immer: Sie konnten streiten, bis sie kurz davor waren, sich zu schlagen, doch sowie Jacques glaubte, sich Sorgen um Raoul machen zu müssen, war sein Unmut wie weggeblasen. Ein ärgerlicher Wesenszug, fand Raoul.
    »Blaise ist heute Morgen zurückgekommen. Er soll dich untersuchen. Sicher kennt er ein Mittel, das dir hilft.«
    »Es ist nichts«, erwiderte Raoul ungehalten. »Nur ein Husten. Er wird schon verschwinden.«
    »Wie lange geht das jetzt schon? Einen Monat? Geh zu ihm«, beharrte sein Bruder.
    »Himmel, Jacques, du wirst von Jahr zu Jahr schlimmer! Na schön, ich gehe zu Blaise. Aber erst heute Abend. Nach meinem Ausritt. Gönnst du mir wenigstens diesen Spaß? Oder hast du Angst, ich würde das Pferd nur benutzen ?« Raoul ließ ihn stehen und ging zu den Stallungen, wütend auf Jacques, den verdammten Husten, das Mädchen, die ihm mit vereinten Kräften den Morgen verleidet hatten.
    Das Mädchen - Anne oder Margerit oder wie auch immer es hieß … Er durfte nicht vergessen, François anzuweisen, es nicht zu ihm vorzulassen, sollte es noch einmal beim Tor auftauchen.
     
    Es war früher Abend, als er zurückkehrte. Raoul galoppierte den Weg zum Anwesen hinauf, rief François und Hughes, die am Tor in der Sonne saßen, einen Gruß zu und schwang sich aus dem Sattel, bevor das Pferd zum Stehen gekommen war. Philippe, der Pferdeknecht, eilte ihm auf dem Hof entgegen. Raoul überließ ihm das Tier und wies ihn an, die Jagdtasche zur Küche zu bringen. Seine schlechte Laune vom Morgen war vergessen. Er hatte zwei Frischlinge geschossen; einen im Wäldchen in der Talsohle, den anderen in einer Senke in den Hügeln,
die sein Vater »Gottes Steinacker« genannt hatte, wegen der unzähligen schiefergrauen Findlinge, die verstreut herumlagen, als wären sie wie Pilze aus dem Boden gesprossen. Das Wetter hatte gehalten, und im Lauf des Nachmittags war es immer wärmer geworden. Raoul fühlte sich prächtig … bis er entdeckte, dass in den Fenstern von Blaises Haus, die einen Monat lang dunkel gewesen waren, Licht brannte. Ihm fiel das Versprechen wieder ein, das er Jacques gegeben hatte. Zum Teufel mit Jacques’ überflüssigen Sorgen, dachte er, doch er wusste, sein Bruder würde ihn nicht in Ruhe lassen, bis er mit Blaise gesprochen hatte. Um des Friedens willen öffnete Raoul die Tür, zog unter dem niedrigen Balken den Kopf ein und betrat das Haus des Arztes.
    Blaise lebte seit über fünfunddreißig Jahren auf dem Anwesen. Das Bistum hatte ihn einst geshickt, um der Familie Bazerat als Kaplan und Arzt zu Diensten zu sein. Als Raouls Vater ins Heilige Land gezogen war, um gegen die Sarazenen zu kämpfen, hatte Blaise ihn begleitet. Die beiden Männer waren enge Freunde geworden, und bei ihrer Rückkehr hatte Gerard von Bazerat Blaise dieses Haus bauen lassen. Bald hatte sich der Kaplan nicht mehr nur um das gesundheitliche und seelische Wohl der Familie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher