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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes
Autoren: Christoph Lode
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Lehrer am Arm.
    »Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren!«
    Blaise verharrte einen Moment reglos, und sein stechender Blick haftete an Raoul. Dann sank er langsam zurück auf die Bank. »Am ehesten kommt karkinos in Frage«, sagte er leise.
    Raoul ließ ihn los. »Was bedeutet das?«
    »Es ist ein fressendes Geschwür.« Blaise stockte, und sein Adamsapfel bewegte sich. »Eine Geschwulst, die immer weiter wächst und den Leib von innen aufzehrt. In deinem Fall sitzt sie in der Lunge und zerstört sie, weitaus rascher als der Schwund.«
    Raoul stand auf. Das Zimmer, die Regale, die Kerzen - alles schwankte vor seinen Augen. Er spürte, wie das Kribbeln wiederkam. Langsam und unaufhaltsam stieg es seinen Rachen hinauf. Raoul glaubte, nicht mehr atmen zu können. »Was heißt ›rasch‹?«, flüsterte er.
    »Das weiß der Herr allein. In sechs Monaten. In einem Jahr, wenn er dir gnädig ist.«

    »Aber es ist nur ein Verdacht.«
    Wieder verging ein Moment, bevor Blaise antwortete. »Ja. Allerdings ein sehr wahrscheinlicher.«
    In sechs Monaten … einem Jahr, hallte es in Raoul nach. In der Nische wurde es wärmer und wärmer, als dehne sich der Kerzenschein wie Fieberglühen aus. Er musste hinaus. Wenn er blieb, in diesem Irrgarten voller Staub und totem Wissen, erstickte er. Raoul machte einen Schritt nach hinten und stieß dabei den Hocker um. Blaise eilte ihm entgegen und sagte etwas, doch er hörte die Worte nicht mehr. Er war schon auf dem Weg nach draußen.
    Reine, kühle Abendluft umfing ihn auf dem Hof. Raoul blieb stehen und atmete tief ein. Als seine Knie nachzugeben drohten, stützte er sich mit beiden Händen auf dem Regenfass neben der Tür ab. Ein konturloses Gesicht ohne Augen, ohne Mimik starrte ihn aus dem dunklen Wasser an.
    Ein fressendes Geschwür … immer weiter wächst, bis es deine Lunge aufgezehrt hat … sechs Monate … ein Jahr …
    Er tauchte seine Hände in das Fass und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Ihm war übel.
    Er hörte knirschende Schritte neben sich. Es war Blaise. Der alte Kaplan sagte nichts, sah ihn nur an.
    Raouls Stimme klang so rau, als hätte er wochenlang kein Wort gesprochen. »Wann weißt du, ob dein Verdacht zutrifft?«
    »Ich muss beobachten, wie sich die Krankheit entwickelt. Lungenkrankheiten sind tückisch. Bei jedem verlaufen sie anders. Möglich, dass ich …«
    »Wann, Blaise?«, fiel Raoul ihm scharf ins Wort.
    Blaise zögerte. »Es wird mindestens eine Woche dauern.«
    Raoul richtete sich auf. Wasser tropfte von seinem Gesicht ins Fass. Neuer Zorn regte sich in ihm, so plötzlich wie eben noch der Husten. »Erst verkündest du mein Todesurteil, und jetzt soll ich eine Woche warten, bis du dich entschieden hast, ob du dich vielleicht irrst?«

    »Ich habe dir gesagt, dass es zu früh ist, darüber zu sprechen.«
    »Es geht um mein Leben, Blaise. Verstehst du das?«
    »Wir können nichts tun, bevor wir nicht mehr wissen. Zorn hilft dir nicht weiter. Nutze die Zeit, um deinen Schöpfer um ein gnädiges Geschick zu bitten.«
    Raoul hatte diesen und ähnliche Sätze unzählige Male aus Blaises Mund gehört, und nie waren sie mehr gewesen als priesterliche Floskeln, die im richtigen Moment Trost spenden und im falschen ärgerlich sein konnten. Doch jetzt klangen sie wie Hohn und Spott in seinen Ohren. Noch bevor er begriff, was er tat, packte er Blaise am Kragen der Robe und stieß ihn von sich, sodass der Kaplan zu Boden fiel. Dann fuhr er herum, ging zu den Ställen und scherte sich nicht darum, ob er Blaise verletzt hatte. Er wollte nur noch fort. Rufe hallten aus der Richtung des Tors - sein Bruder, François und Hughes, die alles mit angesehen hatten. Als sie auf ihn zukamen, schritt Raoul schneller voran. Jacques tauchte vor ihm auf, sagte etwas, doch Raoul stieß ihn zur Seite und lief weiter zum Tor, wo Hughes Jacques’ Pferd an den Zügeln hielt. Dann saß er im Sattel, und Hughes rannte neben ihm her, brüllend, ehe er stolpernd der Länge nach stürzte. Raoul preschte durch das Tor, ritt, bis das Anwesen hinter ihm verschwand, bis ihn nur noch Felsen und Bäume umgaben. Er hielt erst an, als er eine Hügelkuppe in den Wäldern erreichte, Meilen entfernt von jedem Dorf und jedem menschlichen Gesicht, umfangen nur von tiefen Schatten und Stille. Dort schwang er sich aus dem Sattel und stieg auf den höchsten Punkt. Die Sonne ging unter, ihr vergehendes Licht gab Himmel und Wolken die Farben von Glut und Asche. Sein Atem ging hastig und rau; der
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